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Charlotte

Charlotte

Titel: Charlotte
Autoren: Felix Thijssen
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unter dem breiten Bogen aus südfranzösischem Sandstein erschienen, der zur Esszimmerhälfte des Raumes führte, um zu melden, dass das Mittagessen angerichtet war.
    Heleen nahm sein Taschentuch entgegen, trocknete ihre Tränen und verwischte dabei ihren Lidschatten ein wenig. »Einfach scheußlich«, sagte sie. »So was gehört ins Leben eines meiner Patienten, nicht in meines.«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
    Sie stand auf und schaute ihn an wie einen Fremden. »Würdest du mich bitte beim Mittagessen entschuldigen? Du wirst diese Angelegenheit ohne mich regeln müssen.«
    Er wollte sie zurückhalten, aber wieder wehrte sie ihn ab, diesmal so entschlossen, dass seine Arme heruntersanken und er sie gehen ließ. Heleen verschwand durch die Tür zur Diele und Runing blieb mit einem absurden Gefühl der Leere zurück .
    Das mit Elisabeth lag zwanzig Jahre zurück. Ihre Tochter? Seines Wissens gab es keinen Grund für ihn, sich Sorgen zu machen oder Schuldgefühle zu hegen.
     
    Eine Wohnzeitschrift hatte einmal Fotos von dem schönsten Garten Culemborgs veröffentlicht. Für die Puristen war nur der Swimming-Pool fehl am Platze, mit seiner Kuppel aus glasähnlichem Kunststoff, die darüber geschoben werden konnte, sobald das Wetter sich niederländisch-launenhaft zeigte. Die Mädchen saßen am großen Gartentisch, seine Töchter nebeneinander auf der Schattenseite, wie eine Untersuchungskommission, die sich mit einem verirrten Außerirdischen befasste.
    »Tag, die Damen«, sagte Runing und blieb hinter seinen Töchtern stehen. Er legte Lily die Hand auf die Schulter. »Was ist hier eigentlich los?«
    Das unbekannte Mädchen stand auf, nervös, achtzehn, blond, ihr Gesicht in der prallen Sonne. Sie erinnerte ihn an jemanden, aber er war in einem Alter, in dem einen fast jedes neue Gesicht an jemanden aus der Vergangenheit erinnerte.
    »Es tut mir Leid, dass ich hier einfach so hereingeplatzt bin«, sagte sie, ihre Worte sorgfältig abwägend. »Ich habe versucht, Sie in der Firma zu erreichen, aber das war leider unmöglich.« Sie ging mit ein paar Schritten um den Tisch und die Stühle herum und streckte ihm die Hand entgegen. »Ich bin Charlotte Bonnette.«
    Automatisch ergriff er ihre Hand. Sie war kleiner als Lily, hatte blaue Augen und honigblonde kurze Haare, die sich keck und ziemlich unordentlich um ihr rundes, regelmäßiges Gesicht kringelten. Ein junges, glattes, unschuldiges Gesicht. Ihr Blick war schüchtern, als sei sie einer Anwandlung gefolgt, ohne sich die Zeit zu nehmen, vorher über die Konsequenzen nachzudenken. Sie trug billige, verwaschene Kleidung, und als sie ihre Hand zurückzog, war ihm, als nehme er einen Hauch von Schimmelgeruch wahr, als wohne sie in einer feuchten Wohnung oder müsse ihre Wäsche in einem Garten zum Trocknen aufhängen, in dem es ewig regnete.
    »Ich kann mich an deine Mutter erinnern«, sagte er freundlich.
    »Das wundert uns gar nicht«, bemerkte Jennifer brüsk. »Wie es scheint, ist Charlotte unsere Halbschwester.«
    »Oh?«
    Runing wollte noch mehr sagen, doch seine ältere Tochter schob lautstark ihren Stuhl zurück und stand auf. »Es tut mir Leid, dass ich so reagiere«, sagte sie zu Charlotte, »aber du hast uns einen ganz schönen Schlag versetzt, darüber wirst du dir ja wohl im Klaren sein.«
    »Ach, Jen«, warf Lily ein. »Sie kann doch nichts dafür.«
    »Stimmt«, erwiderte Jennifer. »Und gleich werden wir wohl zu hören kriegen, dass auch sonst keiner etwas dafür kann.«
    Wütend verließ sie die Terrasse. Charlotte sagte zögernd: »Ich sollte wohl besser ein andermal wiederkommen.«
    Lily stand ebenfalls auf und sagte gutmütig: »Aber nein, nimm’s ihr nicht übel, sie meint es nicht so.« Lily, die stets Optimistische und Versöhnliche. Sie war noch sehr jung für ihr Alter. »Papa, jetzt setz dich doch mal und rede mit Charlotte. Wo ist Mama?«
    »Oben.«
    Runing merkte, dass er völlig fassungslos war und es ihm nicht gelang, die Initiative zu ergreifen, wie er es bei Problemen in der Firma zu tun pflegte. Dieses Problem war von einem anderen Kaliber. Er fragte sich, was Heleen machte und ob er zu ihr gehen sollte. Um halb drei kamen die Dänen und würden ihn für den Rest des Samstags in Beschlag nehmen. Das Mädchen schaute sich ringsherum alles an: den Garten, den Swimming-Pool, das Treibhaus und die breite Rückwand des Hauses mit seinen Pergolen und Erkern, Kletterrosen und Markisen. Sie konnte nicht seine Tochter sein.
    Lily sagte
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