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Chalions Fluch

Chalions Fluch

Titel: Chalions Fluch
Autoren: Lois McMaster Bujold
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offenem Mund.
    »Gedichte könnten es vielleicht erfassen!«, sagte Cazaril. »Ich brauche Worte, deren Bedeutung über den Inhalt hinausgehen … Worte, die nicht nur Höhe und Breite haben, sondern auch Tiefe und Gewicht und … und andere Dimensionen, die ich gar nicht benennen kann.«
    »Hm«, meinte Umegat. »Ich habe eine Zeit lang versucht, den Gott in der Musik wiederzufinden, damals, nach meiner ersten … Erfahrung. Aber leider fehlte mir die Begabung.«
    Cazaril nickte. Zaghaft fragte er: »Kann ich irgendetwas für euch beide tun? Iselle hat mich gestern zum Kanzler von Chalion ernannt, und das verschafft mir beträchtliche Möglichkeiten, nehme ich an.«
    Umegat hob die Brauen. Er bedachte Cazaril mit einer angedeuteten Verneigung, ohne aufzustehen. »Eine weise Entscheidung der jungen Königin.«
    Cazaril verzog das Gesicht. »Tatsächlich muss ich seither ständig über die Fußstapfen verstorbener Männer nachdenken, oder so ähnlich …«
    Umegats Lächeln vertiefte sich. »Ich verstehe. Was uns betrifft, so kümmert sich die Kirche in angemessener Weise um ihre ehemaligen Heiligen und stellt uns alles zur Verfügung, was wir im Augenblick benötigen. Mir gefallen diese Räumlichkeiten, die Stadt, die Frühlingsluft, und ich bin in angenehmer Gesellschaft. Ich hoffe, der Gott hat noch die ein oder andere interessante Aufgaben für mich, bevor alles vorüber ist. Auch wenn ich hoffe, dass es nichts mehr mit Tieren zu tun hat. Oder mit Königen.«
    Cazaril sah ihn mitfühlend an. »Ich nehme an, Ihr habt den unglücklichen Orico so gut gekannt wie kaum ein anderer, Sara vielleicht ausgenommen.«
    »Sechs Jahre lang habe ich ihn fast jeden Tag gesehen. Am Ende sprach er sehr offen zu mir. Ich hoffe, ich konnte ihm eine Stütze sein.«
    Cazaril zögerte. »Was immer es wert sein mag … Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass er eine Art Held gewesen ist!«
    Umegat nickte knapp. »Ich ebenfalls. Auf eine tragische Weise. Ganz gewiss war er ein Opfer.« Er seufzte. »Nun, es ist sicher eine Sünde, wenn wir die Dankbarkeit für verbliebene Segnungen von der Trauer über das Verlorene überschatten lassen.«
    Der Zungenlose erhob sich in seinem stillen Winkel und räumte das Teegeschirr fort.
    »Ich danke dir, Daris«, sagte Umegat und tätschelte die Hand, die ihn kurz an der Schulter berührte. Daris nahm die Tassen und Teller und trottete davon.
    Neugierig blickte Cazaril ihm hinterher. »Ihr kennt ihn schon lange?«
    »Seit ungefähr zwanzig Jahren.«
    »Dann war er also nicht nur Euer Gehilfe in der Menagerie …« Cazaril senkte die Stimme. »War er damals schon zum Märtyrer geworden?«
    »Nein. Noch nicht.«
    »Oh.«
    Umegat lächelte. »Schaut nicht so bedrückt, Lord Cazaril. Wir erholen uns wieder. Das war gestern. Jetzt ist heute. Irgendwann werde ich ihn um die Erlaubnis bitten, Euch seine Geschichte zu erzählen.«
    »Es wäre eine Ehre für mich, sein Vertrauen zu genießen.«
    »Alles ist gut – und wenn es nicht so ist, bringt uns zumindest jeder Tag unserem Gott näher.«
    »Das ist mir auch schon aufgefallen. Ich hatte einige Schwierigkeiten, mir überhaupt noch der Zeit bewusst zu sein, während der ersten Tage nach … nach meiner Begegnung mit der Herrin. Die Zeit und die Maßstäbe hatten sich so sehr verändert, dass man es kaum noch erfassen konnte.«
    Ein leises Klopfen erklang von der Zimmertür. Daris kam aus dem Nebenraum und ließ eine weiß gekleidete junge Novizin ein, die ein Buch in der Hand hielt.
    »Ah!« Umegats Miene hellte sich auf. »Da kommt meine Vorleserin! Verneige dich vor dem Kanzler, Schwester.« Erklärend fügte er hinzu: »Jeden Tag schicken sie mir einen auffällig gewordenen Novizen, um mir für eine Stunde vorzulesen, als milde Bestrafung für kleinere Verstöße gegen die Hausregeln. – Weißt du schon, was für eine Regel du morgen übertreten möchtest, Mädchen?«
    Die Schwester lächelte verlegen. »Ich denke noch darüber nach, Gelehrter Umegat.«
    »Nun, wenn dir die Einfälle ausgehen, werde ich an meine eigene Jugend zurückdenken und schauen, ob ich mich an einige weitere Sünden erinnern kann.«
    Die Novizin hielt Cazaril das Buch hin. »Ich dachte, dass ich dem Geistlichen langweilige theologische Werke vorlesen müsste. Stattdessen wünschte er sich dieses Buch mit Erzählungen.«
    Interessiert musterte Cazaril den Band. Dem Zeichen des Druckers nach stammte es aus Ibra.
    »Es ist ein hervorragendes Konzetto«, erklärte Umegat. »Der Autor
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