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Chalions Fluch

Chalions Fluch

Titel: Chalions Fluch
Autoren: Lois McMaster Bujold
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Hand ausgebreitet; zu seiner Rechten erhob sich ein weit größerer Stapel fertiger Schreiben.
    Fragend blickte der Mann zu Cazaril auf und musterte ihn höflich, aber kühl. »Kann ich Euch helfen, mein Herr?«
    »Ich … entschuldigt, aber ich glaube nicht, dass wir uns schon einmal begegnet sind. Wer seid Ihr?«
    »Ich bin der Gelehrte Bonneret, der Privatschreiber Königin Iselles.«
    Cazaril öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Aber ich bin Privatschreiber der Königin Iselle! »Eine vorübergehende Ernennung, nehme ich an?«
    Bonneret hob die Brauen. »Ich gehe davon aus, dass sie von Dauer ist.«
    »Wie seid Ihr an dieses Amt gekommen?«
    »Erzprälat Mendenal war so freundlich, mich der Königin zu empfehlen.«
    »Kürzlich?«
    »Wie bitte?«
    »Wurdet Ihr erst vor kurzem ernannt?«
    »Vor zwei Wochen, mein Herr.« Mit einem Anflug von Verärgerung runzelte Bonneret die Stirn. »Verzeiht, aber seid Ihr mir gegenüber irgendwie im Vorteil?«
    Ganz im Gegenteil. »Die Königin hat mir nichts davon gesagt«, meinte Cazaril. Hatte man ihn fallen lassen, seiner Vertrauensstellung enthoben? Gewiss, die vielen Aufgaben, die sich an Iselles Thronbesteigung anschlossen, konnten nicht warten, bis Cazaril sich gänzlich erholt hatte. Jemand musste sich darum kümmern. Und wie Cazaril der ausgehenden Post entnehmen konnte, hatte Bonneret eine sehr schöne Handschrift. Das Stirnrunzeln des Geistlichen vertiefte sich, und Cazaril fügte hinzu: »Mein Name ist Cazaril.«
    Bonnerets missbilligender Blick verschwand und wurde von einem freundlichen und ehrfürchtigen Lächeln ersetzt. Der Geistliche ließ seine Schreibfeder fallen, sodass Tinte übers Pult spritzte und Bonneret aufsprang. »Lord dy Cazaril, es ist mir eine Ehre!« Er verneigte sich tief. »Wie kann ich Euch zu Diensten sein?«, fragte er erneut, diesmal jedoch in einem ganz anderen Tonfall.
    Dieses eifrige Entgegenkommen schüchterte Cazaril viel mehr ein als Bonnerets vorherige Hochnäsigkeit. Er murmelte unzusammenhängende Entschuldigungen für die Störung, verwies auf seine Müdigkeit von der Reise und floh zurück in seine Kammer.
    Dort verbrachte er ein wenig Zeit damit, seine Kleidung und seine allzu spärlichen Bücher durchzugehen und im neuen Gemach unterzubringen. Erstaunlicherweise schien keines seiner Besitztümer zu fehlen. Er schlenderte zum schmalen Fenster, das einen Blick über die Stadt gewährte, stieß die Fensterflügel weit auf und reckte den Hals hindurch, doch keine heiligen Krähen flogen herbei und besuchten ihn. Nisteten sie immer noch in Fonsas Turm, jetzt, wo die Menagerie verschwunden und der Fluch gebrochen war? Er schaute auf die Kuppeldächer des Tempels hinunter und nahm sich vor, bei erster Gelegenheit Umegat aufzusuchen.
    Er war aufgewühlt, und er wusste, dass es zum Teil an seiner Erschöpfung lag. Seine Kräfte waren immer noch zerbrechlich und auf zeitweilige Ausbrüche beschränkt. Nach dem morgendlichen Ritt schmerzte seine Unterleibsverletzung, wenn auch nicht so sehr wie damals, als Dondo im Innern seines Leibes an seinen Eingeweiden gezerrt hatte. Endlich hatte er seinen Körper wieder für sich – ein herrliches Gefühl. Allein schon deshalb war er tagelang überglücklich gewesen. An diesem Nachmittag jedoch schien es nicht mehr auszureichen. Nach der eiligen Reise wirkte das Rasten und Ruhen, das offenbar jeder als das Richtige für ihn betrachtete, eher ernüchternd.
    Cazaril verfiel in eine düstere Stimmung. Womöglich gab es keine Verwendung für ihn in diesem neuen Chalion-Ibra. Iselle würde gelehrtere Männer benötigen als ihn, die ihr bei ihren erheblich gewachsenen Aufgaben zu Seite zu standen. Ein übel zugerichteter Exsoldat mit einer Vorliebe für Poesie würde da nicht mehr genügen. Schlimmer noch: Wenn er nicht mehr in Iselles Diensten stand, konnte er auch nicht länger Betriz’ tägliche Gegenwart genießen! Niemand würde zur Abenddämmerung seine Leselichter entzünden oder ihn dazu bringen, warme, unpassende Mützen anzuziehen. Niemand würde bemerken, wenn er krank war und dann Furcht einflößende Ärzte an seine Seite zitieren, oder für seine Sicherheit beten, wenn er fern von zu Hause weilte …
    Er hörte Hufschlag und Lärm und vermutete, dass Iselle und Bergon mitsamt ihren Begleitern von den Feierlichkeiten im Tempel zurückkehrten. Doch selbst wenn er sich hinausbeugte, konnte er von seinem Fenster aus den Schlosshof nicht einsehen. Er sollte hinauslaufen und sie
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