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Cassia & Ky – Die Flucht

Cassia & Ky – Die Flucht

Titel: Cassia & Ky – Die Flucht
Autoren: Ally Condie
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noch: Ich wünschte, ich könnte mich an ›den Tag im roten Garten‹ erinnern. Wobei ich mich natürlich an viele Tage erinnere, an denen ich mit Großvater auf einer Bank inmitten der roten Knospen im Frühling, der roten Neorosen im Sommer oder der roten Blätter im Herbst gesessen habe. Das muss er wohl gemeint haben. Bestimmt hat Bram sich geirrt, und Großvater erinnerte sich an ›die Tage im roten Garten‹, Plural. Die Tage im Frühling, Sommer und Winter, an denen wir dort zusammensaßen und uns unterhielten.
    In der Nachricht von meinen Eltern schwingt große Freude und Erleichterung mit, denn sie haben die Mitteilung erhalten, dass der nächste Einsatz im neuen Arbeitslager mein letzter sein wird.
    Ich kann ihnen nicht vorwerfen, dass sie sich freuen. Sie glauben selbst an die Liebe und gaben mir eine Chance, Ky ausfindig zu machen, bedauern aber nicht, dass diese Chance bald vorüber ist. Ich bewundere sie dafür, dass sie es mich versuchen ließen. Das ist mehr, als die meisten Eltern tun würden.
    Ich schiebe die Blätter wieder zu einem kleinen Stapel zusammen und denke dabei an Spielkarten, denke an Ky. Angenommen, ich könnte durch diese Verlegung zu ihm gelangen? Indem ich mich im Flugschiff verstecke und mich über den Äußeren Provinzen wie ein Stein hinausfallen lasse?
    Doch wenn ich es täte, was würde er sagen, wenn er mich nach dieser langen Zeit wiedersähe? Würde er mich überhaupt noch wiedererkennen? Ich weiß, dass ich mich verändert habe. Nicht nur meine Hände sehen anders aus. Trotz der reichen Mahlzeiten bin ich von der harten Arbeit sehr dünn geworden. Dunkle Schatten zeichnen sich unter meinen Augen ab, weil ich nicht schlafen kann, obwohl die Gesellschaft unsere Träume hier nicht überwacht. Zwar beunruhigt es mich, dass man sich kaum um uns zu kümmern scheint, aber ich genieße die neue Freiheit des Schlafens ohne die Elektroden. Dennoch liege ich wach und denke über alte und neue Wörter und einen Kuss nach. Der Gesellschaft gestohlen, als sie einmal nicht hinsah. Dabei bemühe ich mich
wirklich
, einzuschlafen, weil ich Ky am deutlichsten in meinen Träumen sehe.
    Hier bekommen wir Außenstehende nur zu Gesicht, wenn die Gesellschaft es genehmigt, ob persönlich, auf dem Terminalbildschirm oder auf einem Mikrochip. Ganz früher hat die Gesellschaft es den Bürgern erlaubt, Bilder ihrer Partner und Angehörigen bei sich zu tragen. Wenn jemand verstorben oder fortgegangen war, hatte man wenigstens eine Erinnerung an diesen Menschen, doch das ist schon seit Jahren verboten. Inzwischen hat die Gesellschaft sogar mit der Tradition gebrochen, Partnern nach ihrem ersten persönlichen Treffen neue Fotos voneinander zu senden. Das habe ich aus einer der Nachrichten erfahren, die ich nicht aufgehoben habe – eine Information der Paarungsbehörde an alle, die sich für eine Paarung entschieden haben. Darin hieß es unter anderem:
    Die Paarungsformalitäten werden aus Gründen der Effizienz und der Optimierung der Resultate fortan rationalisiert.
    Was die Frage aufwirft, ob es noch andere Irrtümer gegeben hat.
    Wieder schließe ich die Augen und wünsche mir, mir Kys Gesicht vorstellen zu können. Aber jenes Bild, das ich in letzter Zeit heraufbeschwöre, scheint unvollständig und irgendwie verschwommen. Ich frage mich, wo Ky jetzt ist, was mit ihm geschieht und ob er es geschafft hat, das Stück grünen Seidenstoffs aufzubewahren, das ich ihm geschenkt habe.
    Ob er mich in seinem Herzen bewahrt hat.
    Ich ziehe ein anderes Blatt Papier heraus und falte es auf dem Bett auseinander. Dabei fällt auch das rosarote Blütenblatt einer Neorose mit heraus. Es fühlt sich genauso an wie ein Blatt Papier, es ist welk und schon gelblich an den Rändern.
    Meine Bettnachbarin schaut neugierig zu mir herüber, und deswegen klettere ich von meinem Bett auf das untere. Die anderen Mädchen scharen sich um mich, wie immer, wenn ich dieses besondere Blatt hervorhole. Man kann mich nicht dafür bestrafen, denn schließlich ist sein Besitz weder illegal, noch habe ich es verbotenerweise eingeschmuggelt. Es ist ein Ausdruck von einem öffentlichen Terminal, aber da wir hier nichts außer Nachrichten ausdrucken können, ist dieses kleine Stück Kunst für uns zu etwas Wertvollem geworden.
    »Ich befürchte, wir können es uns heute zum letzten Mal anschauen«, seufze ich. »Es zerfällt langsam.«
    »Ich habe leider nicht daran gedacht, einen Ausdruck von einem der Hundert Gemälde mitzubringen«,
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