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Cassia & Ky – Die Flucht

Cassia & Ky – Die Flucht

Titel: Cassia & Ky – Die Flucht
Autoren: Ally Condie
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Augenblick lang senke ich die Augen, bevor ich den Blick zum Terminal hebe. Erst muss ich mein Gesicht, meine Hände und Augen unter Kontrolle bekommen. Haltung und Miene müssen so beherrscht sein, dass niemand in mir lesen kann.
    »Cassia«, sagt jemand. Die Stimme kenne ich!
    Dann blicke ich auf und traue meinen Augen nicht.
    Er ist hier!
    Der Terminalbildschirm ist leer. Dafür steht er vor mir, er selbst!
    Er ist hier!
    Heil, gesund und unversehrt.
    Hier.
    Er ist nicht allein – ein Funktionär steht hinter ihm –, aber egal, er ist –
    Hier.
    Ich schlage meine geröteten, geäderten Hände vor die Augen, weil mich der Anblick überwältigt.
    »Xander«, flüstere ich.

Kapitel 3 KY

    Es ist anderthalb Monate her, seitdem wir den Jungen im Wasser zurückgelassen haben. Jetzt liege ich im Dreck, und Feuer fällt aus der Luft.
    Wie immer sage ich mir: Es ist ein
Lied
. Der Bass des schweren Geschützfeuers, der Sopran der Schreie, der Tenor meiner eigenen Furcht. Alles Teil der Musik.
    Versucht nicht, wegzulaufen.
Das habe ich den anderen eingeschärft, aber neue Lockvögel wollen niemals hören. Sie glauben das, was die Gesellschaft ihnen auf dem Weg hierher weisgemacht hat:
Leistet euren Dienst in den Dörfern ab, und nach sechs Monaten bringen wir euch wieder nach Hause. Dann werdet ihr euren Bürgerstatus zurückerhalten.
    Keiner überlebt sechs Monate lang.
    Wenn ich rauskomme, wird es nur noch geschwärzte Gebäude und zersplitterte, graue Salbeibüsche geben. Verbrannte, gefallene Leichen, verstreut über die orangefarbene, sandige Erde.
    Die Musik bricht ab, und ich fluche. Die Flugschiffe ziehen weiter. Ich weiß, welches Ziel sie anvisieren.
     
    Früh an diesem Morgen hörte ich Stiefel auf dem frostigen Boden hinter mir knirschen. Ich blickte mich nicht um, um nachzusehen, wer mir an den Rand des Dorfes gefolgt war.
    »Was machst du hier?«, fragte jemand. Ich erkannte die Stimme nicht, aber das hatte nicht viel zu bedeuten. Ständig werden neue Leute aus den Lagern hier rausgeschickt. In diesen Tagen sterben wir schneller und schneller.
    Schon bevor man mich damals in Oria in den Zug bugsierte, wusste ich, dass die Gesellschaft uns niemals zu echten Kampfeinsätzen schicken würde. Für diesen Zweck stehen ihr genügend hochtechnisierte Waffen und ausgebildete Soldaten zur Verfügung. Leute, die keine Aberrationen oder Anomalien sind.
    Was die Gesellschaft braucht – und wozu sie uns benutzt –, ist Kanonenfutter. Lockvogel-Dorfbewohner. Sie verlegt uns überall dorthin, wo Menschen gebraucht werden, um dem Feind als Ziel zu dienen. Sie wollen den Feind glauben machen, die Äußeren Provinzen seien nach wie vor belebt und bewohnbar, obwohl ich bisher niemanden außer meinesgleichen gesehen habe. Aus der Luft hinuntergeworfen, nur mit dem Nötigsten ausgestattet. Gerade genug, um zu überleben. Bis der Feind uns tötet.
    Niemand kehrt nach Hause zurück.
    Außer mir. Ich bin nach Hause zurückgekehrt. Die Äußeren Provinzen waren einst mein Zuhause.
    »Der Schnee«, sagte ich an diesem Morgen zu dem neuen Lockvogel. »Ich betrachte den Schnee.«
    »Hier schneit es nicht«, erwiderte er abfällig.
    Ich reagierte nicht, sondern schaute weiterhin hinauf zum nächstgelegenen Plateau. Ein herrlicher Anblick, weißer Schnee auf roten Felsen. Wenn er schmilzt, wird er kristallklar und funkelt in allen Farben des Regenbogens. Ich bin schon dort oben gewesen, als es geschneit hat. Es war wunderschön, wenn sich die Flocken wie Federn auf die verdorrten Pflanzen legten.
    Ich hörte, wie sich der Lockvogel hinter mir umdrehte und zum Lager zurückrannte. »Schaut mal, da oben auf dem Plateau!«, rief er, und die anderen kamen auf ihn zu und beantworteten aufgeregt seine Rufe.
    »Wir gehen rauf und holen Schnee, Ky!«, rief mir jemand einige Augenblicke später zu. »Komm mit!«
    »Ihr werdet es nicht rechtzeitig schaffen«, antwortete ich. »Der Schnee schmilzt zu schnell. Noch bevor ihr ankommt, ist er weg.«
    Aber niemand hörte auf mich. Die Funktionäre lassen uns dürsten, und das wenige Wasser, das wir bekommen, schmeckt nach dem pelzig-faden Inneren unserer Feldflaschen. Der nächstgelegene Fluss hier ist tatsächlich vergiftet, und es regnet nur selten.
    Ein kalter Schluck frischen Wassers. Ich verstehe, warum sie dorthin wollten.
    »Bist du sicher?«, rief einer von ihnen mir zu, und ich nickte wieder.
    »Kommst du mit, Vick?«, rief ein anderer.
    Vick stand auf, schirmte seine stechend blauen
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