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Caras Gabe

Caras Gabe

Titel: Caras Gabe
Autoren: Maya Trélov
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getrieben hatte.
    Meine Schultern sanken herab. Es war nur recht. Ich hatte eine schlimmere Strafe für das verdient, was ich nicht hatte verhindern können, und für das, was ich getan hatte.
    Die Haustür knarrte.
    Ich fuhr zusammen, duckte mich und lauschte angestrengt in die Stille. Leise Schritte auf knarzenden Dielen. Sie kamen die Stufen empor. Mit klopfendem Herzen drehte ich mich langsam zur Tür um.
    Die Schritte näherten sich und nun kam auch noch ein anderes Geräusch hinzu. Eine Art unterdrücktes Wimmern und Schluchzen. Mir wurde eiskalt. Das dort im Gang war meine Mutter. Allein die Götter wussten, wo sie zu dieser späten Stunde herkam oder weshalb sie weinte.
    Sie klang so verzweifelt, dass es mir das Herz zusammenzog. Am liebsten hätte ich die Tür aufgerissen und wäre zu ihr geeilt. Stattdessen verharrte ich in meiner Stellung und lauschte auf die Schritte, die an meinem Zimmer vorbei und den Gang entlang zu dem Raum führten, in dem meine Eltern früher geschlafen hatten.
    Arane hatte den Raum seit Jahren nicht mehr betreten und mir schlimme Strafen angedroht, sollte ich es jemals wagen, die Tür zu dieser glücklicheren Vergangenheit zu öffnen. Nun quietschte die verbotene Tür und schwang leise knarrend auf. Was wollte Arane dort?
    Lautlos schlich ich zur Wand und legte mein Ohr an das rissige Holz. Durch die Bretter hörte ich meine Mutter schluchzen.
    Es war, als würde ein Geist alle Kraft aus meinen Gliedern saugen. Haltlos sank ich an der Wand hinunter und starrte in die Leere, hörte nichts außer den Tränen meiner Mutter. Ich hatte Arane für gefühllos und kalt gehalten. Vaters Tod hatte ihr alle Lebensfreude geraubt und sie in eine derart unterwürfige Dienerin der Priester verwandelt, dass sich mir der Magen umdrehte. Doch trotz allem war da immer ein Wille gewesen in meiner Mutter, gebrochen, aber kaum weniger stark. Sie hatte eine eiserne Disziplin an den Tag gelegt, die es mir unmöglich gemacht hatte, sie gänzlich zu verachten. Und nun kauerte sie im Zimmer nebenan und schluchzte, als hätte man ihr erneut das Herz aus der Brust gerissen.
    Ich schloss die Augen und presste die Hände auf meine Ohren.

    Mit der Zeit verstummte das Schluchzen im Nebenraum, doch als ich schon glaubte in Dunkelheit und Stille zu versinken, ließ ein Schaben an meinem Fenster mich aufhorchen.
    Silbernes Mondlicht schien durch die schmutzige Glasscheibe, floss über den Dielenboden und leckte an meinen Fingerspitzen. Und deutlich zeichnete sich auf dem Fensterbrett die Silhouette der Elster ab. Ich wusste einfach, dass es sich um denselben Vogel handelte, der mich durch den Nebel zur Scheune gelotst hatte. Eigentlich hätte ich Angst empfinden müssen, aber die Ereignisse des Abends hatten mich seltsam betäubt, so dass ich mich fühlte, als würde ich mich durch einen Traum bewegen.
    Langsam erhob ich mich und ging dem Kratzen und Schaben entgegen. Dort hockte die Elster, sah mich wissend aus ihren Knopfaugen an und pickte mit dem Schnabel gegen meine Scheibe.
    Es war das erste Mal, dass ich eine Elster aus solcher Nähe betrachten konnte. Das Weiß ihres Gefieders leuchtete wie silberner Schnee, doch das Schwarz wechselte im Mondlicht von Violett zu Dunkelblau zu tiefem Grün und zurück zu Pechschwarz. Sie war ein schöner Vogel.
    Als hätte sie meine Gedanken gehört, flatterte die Elster plötzlich wild mit den Flügeln und krächzte rau. „Lass mich ein“, schien sie zu sagen. „Lass mich ein.“
    Unbeeindruckt hob ich eine Braue. „Bring mir deinen Meister“, sagte ich kühl. „Ich werde nicht mit seinem Boten verhandeln.“
    Der Vogel ließ augenblicklich davon ab, gegen die Scheibe zu picken, und blickte mich ernst an. Ein kalter Schauer kroch mir den Rücken hoch. Hatte die Elster mich wirklich verstanden?
    Sie krächzte erneut, stieß sich vom Fensterbrett ab und flog in die Nacht.
    Ich sprang vor, presste die Stirn gegen die Scheibe und sah gerade noch, wie die Elster zwischen den Wipfeln der Tannen verschwand.
    Ein seltsames Gefühl ergriff von mir Besitz. Es war wie damals, als ich die Goldmünze in den Brunnen geworfen hatte und diese, schwer von meinem Wunsch, auf das dunkle Wasser geschlagen und unwiederbringlich davon verschluckt worden war.
    Was hatte ich diesmal gewünscht?
    Niemand antwortete.
    Von der Elster war nichts mehr zu sehen. Ich seufzte. Vermutlich hatte ich den armen Vogel bloß erschreckt.
    Hinter der Scheibe wogten die Wipfel der Tannen hin und her wie ein
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