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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration
Autoren: Thomas M. Disch
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sagte er fast flüsternd. »Das Licht. Das Licht ist zu hell.«
    »Dieser Mordecai, von dem Sie eben gesprochen haben ...?«
    »Ich komme gern hierher, weil hier Wind ist. Hier kann ich wieder atmen. Den Wind atmen. Ja.« Aber vielleicht hatte er ›Da‹ gesagt, denn er fuhr fort: »Da - wenn man sehr still ist, kann man ihre Stimmen hören.«
    Es war wirklich sehr still, aber zu hören war nichts als die Klimaanlage - ein Rauschen, wie es aus Muscheln an unser Ohr dringt. Und die Windstöße, die kalt und drohend durch den Gang mit den vielen Türen fegten.
    »Was für Stimmen?« fragte ich etwas verstört.
    George runzelte die hellen Brauen. »Die Stimmen der Engel natürlich.«
    Verrückt, dachte ich - und dann begriff ich, daß George aus einem meiner Gedichte zitiert hatte - meiner Paraphrasecum-Parodie der Duineser Elegien. Daß George, dieser einfältige Bursche aus Iowa, mir so leichthin eine Zeile aus einem meiner unveröffentlichten Gedichte hinwarf, beunruhigte mich mehr als meine anfängliche Vermutung, er habe nicht alle Tassen im Schrank.
    »Kennen Sie das Gedicht?«
    George nickte, und die weizenblonden Strähnen fielen ihm über die fahlen Augen, als wollten sie seine Verlegenheit verbergen.
    »Es ist kein sehr gutes Gedicht«, sagte ich.
    »Nein, das ist es wohl nicht.« Georges Hände, die sich bis dahin hinter seinem Rücken miteinander beschäftigt hatten, bewegten sich wieder auf sein Gesicht zu. Sie schoben das herabhängende Haar hoch und blieben dann wie festgenagelt auf seinem Hinterkopf liegen.
    »Aber trotzdem ist es wahr, man kann ihre Stimmen hören. Die Stimmen des Schweigens. Oder den Atem, das ist das gleiche. Mordecai sagt, daß auch der Atem Poesie ist.«
    Die Hände bewegten sich langsam auf die Augen zu.
    »Mordecai?« wiederholte ich gespannt. Ich hatte - und habe noch immer - das Gefühl, als hätte ich diesen Namen schon irgendwo, irgendwann gehört.
    Aber es war, als spräche ich zu jemandem in einem Boot, das von der Strömung immer weiter hinausgetrieben wird. George zitterte.
    »Gehen Sie«, flüsterte er. »Bitte!«
    Aber ich ging nicht, nicht sofort. Ich blieb vor ihm stehen, obwohl er mich nicht mehr zu bemerken schien. Er wiegte sich sanft auf den Sohlen, vor, zurück, vor, zurück. Seine feinen Haare bewegten sich im zischenden Luftstrom des Ventilators.
    Er sprach laut mit sich selbst, aber ich konnte nur wenig verstehen. »Gelenke des Lichts, Gänge, Treppen ...« Die Worte klangen vertraut, aber mir fiel nicht ein, woher sie stammten. »Räume aus Wesen, Schilde aus Wonne ...«
    Plötzlich nahm er die Hände vom Gesicht und starrte mich an.
    »Sind Sie immer noch da?«
    Und obwohl es keiner Antwort bedurft hätte, sagte ich: »Ja, ich bin noch da.«
    Im Halbdunkel des Korridors hatten sich seine Pupillen erweitert, und vielleicht erschien mir deshalb sein Gesicht so traurig. Wieder legte er drei Finger auf meine Brust.
    »Denn das Schöne«, sagte er ernst, »ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen.«
    Und mit diesen Worten würgte George Wagner sein ganzes reichhaltiges Frühstück hoch und spie es mitten hinein in den streng geometrischen Raum. Im nächsten Moment waren wir von Wärtern umringt, die, eine Schar schwarzer Gluckhennen gleich, George den Mund ausspülten, die Bescherung aufwischten, uns voneinander trennten und abführten. Sie gaben mir etwas zu trinken. Es muß ein Beruhigungsmittel gewesen sein, denn sonst wäre ich jetzt nicht fähig, diese Begegnung zu schildern.
    Was für ein seltsamer Mensch! Ein Bauernjunge, der Rilke zitiert. Bauernjungen können vielleicht Whittier zitieren, vielleicht sogar Carl Sandburg. Aber die Duineser Elegien ?

    6. Juni
    Zimmer 34:
    Nüchterne Lettern aus rostfreiem Metall auf einer schlichten Tür aus hellem Holz, und auf einem kleinen schwarzen Kunststoffschild (in der Art der an Bankschaltern üblichen Namensschilder, die auf der Rückseite die Aufschrift tragen: BITTE ZUM NÄCHSTEN SCHALTER!) in weißen Lettern eingestanzt:

    Dr. A. BUSK

    Meine Wärter führten mich hinein und vertrauten mich den beiden Stühlen an, die - schwarze Lederstreifen um Chromstahl gewickelt - lediglich eine Abstraktion (sozusagen die Essenz) der Wärter waren. Stühle von Harley-Davidson. Kantige Gemälde (ausgewählt, damit diese Stühle sich daran ergötzen konnten) preßten sich gegen die Wände und sehnten sich danach, unsichtbar zu sein.
    Dr. A. Busk marschiert ins Zimmer und geht mit ausgestreckter
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