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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration
Autoren: Thomas M. Disch
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Hand auf mich los. Soll ich sie schütteln? Nein, es bedeutet nur, daß ich mich setzen soll. Ich sitze, sie sitzt, schlägt klipp-klapp die Beine übereinander, zieht den Rocksaum runter, lächelt. Es ist ein deutliches, wenn auch kein gütiges Lächeln, ein wenig zu dünn, ein wenig zu steif. Die hohe, klare Stirn und die gewölbten Augenbrauen einer elisabethanischen Lady. Vierzig Jahre? Eher fünfundvierzig.
    »Verzeihen Sie, daß ich Ihnen nicht die Hand gebe, Mr. Sacchetti, aber wir werden besser miteinander auskommen, wenn wir von Anfang an auf Heuchelei verzichten. Schließlich verbringen Sie nicht gerade Ihre Ferien hier, nicht wahr? Sie sind ein Gefangener, und ich bin ... ich bin das Gefängnis. Unsere Beziehung wird also von Anfang an ehrlich, wenn auch nicht gerade erfreulich sein.«
    »Meinen Sie mit ›ehrlich‹, daß ich Sie ebenfalls beleidigen darf?«
    »Ungestraft, Mr. Sacchetti; wie du mir, so ich dir. Sie können es hier tun oder in aller Ruhe in Ihrem Tagebuch. Da ich die zweite Ablichtung bekomme, können Sie sicher sein, daß Sie unangenehme Dinge nicht umsonst zu schreiben brauchen.«
    »Ich werd’s mir merken.«
    »Aber zuvor sollten Sie einiges über unsere Arbeit hier wissen. Gestern sind Sie dem jungen Wagner begegnet, aber in Ihrem Tagebuch haben Sie es bewußt vermieden, Überlegungen darüber anzustellen, warum er sich so seltsam benommen hat. Obwohl anzunehmen ist, daß Sie sich darüber Gedanken gemacht haben.«
    »Ist anzunehmen.«
    Dr. A. Busk kräuselte die Lippen und trommelte mit dem rissigen Fingernagel auf einem Umschlag herum, der an ihre Schreibunterlage geklammert war. Die Sacchetti-Akte.
    »Seien Sie doch aufrichtig, Mr. Sacchetti. Sie dürfen bemerkt haben, daß Georges Verhalten etwas zwiespältig war, und bestimmt haben Sie seine Unsicherheit in Zusammenhang gebracht mit gewissen Andeutungen, die mein Kollege, Mr. Haast, über Ihre Aufgabe hier bei uns gemacht hat. Und ich darf wohl sagen, nicht zufällig gemacht hat. Kurz und gut, Sie müssen zu der Vermutung gelangt sein, daß George - und nicht nur er - als Versuchsperson für ein Experiment dient, nicht wahr?« Sie zog fragend die Brauen hoch. Ich nickte.
    »Was Sie nicht wissen konnten - und das wird Sie vielleicht beruhigen - ist, daß George sich freiwillig hier aufhält. Er ist während eines Urlaubs in Taipeh aus der Armee desertiert. Die übliche schmutzige Affäre zwischen einem Soldaten und einer Prostituierten. Natürlich wurde er erwischt und vors Kriegsgericht gestellt. Er wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, wie Sie zugeben müssen, ein mildes Urteil. Hätten wir uns offiziell im Krieg befunden, wäre er vielleicht erschossen worden. Höchstwahrscheinlich sogar.«
    »Dann bin ich also von der Armee entführt worden?«
    »Nicht direkt. Das Lager Archimedes wird von einer privaten Stiftung finanziert, obwohl wir aus Gründen der Geheimhaltung weitgehend selbständig arbeiten. Nur ein einziger leitender Angestellter der Stiftung weiß über den wahren Charakter unserer Forschungen Bescheid. Die andern, auch die Armee, halten unsere Arbeit für eines von vielen Waffenentwicklungsprojekten. Ein großer Teil des Personals - die meisten Wärter und auch ich selbst - wurde von den Streitkräften zur Verfügung gestellt.«
    Nach dieser Information konnte ich alle ihre auffallenden Eigenschaften - ihr wie geschrubbt wirkendes Gesicht, ihr steifes Gehabe, ihre unweibliche Stimme - auf einen Nenner bringen. »Sie sind vom Frauenhilfskorps!«
    Sie salutierte spöttisch. »Wie gesagt, George kam ins Militärgefängnis und fühlte sich dort gar nicht wohl. Er konnte sich, wie mein Kollege Haast sagen würde, der Gefängnisumwelt nicht anpassen. Als ihm die Chance geboten wurde, sich freiwillig für das Lager Archimedes zu melden, ergriff er sie sofort. Schließlich werden heutzutage die meisten Experimente auf dem Gebiet der Infektionsverhütung gemacht. Einige dieser neuen Krankheiten sind nämlich äußerst unangenehm. Das ist also die Geschichte des jungen George. Die anderen Versuchsobjekte haben ähnliche Vorgeschichten.«
    » Dieses Versuchsobjekt nicht.«
    »Sie sind, genaugenommen, kein Versuchsobjekt. Aber um zu verstehen, warum Sie hier sind, müssen Sie den Zweck des Experiments kennen. Es handelt sich um die Erforschung von Lernprozessen. Von welch fundamentaler Bedeutung die Erziehung für die nationale Verteidigung ist, brauche ich Ihnen wohl nicht zu erklären. Die Intelligenz ist letztlich das
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