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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration
Autoren: Thomas M. Disch
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ein schmutzigbrauner Acrilanteppich; der Luxus unausgenutzten Platzes und leerer Ecken. Meiner Schätzung nach fast fünfzig Quadratmeter. Das Bett steht in einer Nische, vor die man duftige, geblümte Vorhänge ziehen kann. Man hat das Gefühl, daß die Wände von außen durchsichtig und daß in den milchweißen runden Lampen Mikrofone verborgen sind.
    Was soll das?
    Eine Frage, die jedem Versuchskaninchen auf der Zunge liegt.
    Der Mann, der die Bücher für die Bibliothek auswählt, hat einen viel besseren Geschmack als der Innenarchitekt. Beweis: Hier gibt es nicht nur ein oder zwei, sondern drei Exemplare von Die Hügel der Schweiz. Und, kaum zu glauben, sogar ein Exemplar von Gerard Winstanley, Puritanischer Utopist. Ich habe Die Hügel durchgelesen und zu meiner Freude keine Druckfehler gefunden; allerdings stimmt die Reihenfolge der Fetisch-Gedichte nicht.

    Noch später
    Ich habe zu lesen versucht, aber kaum nehme ich mir ein Buch vor, verliere ich schon das Interesse daran. So habe ich nacheinander Palgrave, Huizinga, Lowell, Wilenski, ein Chemiebuch, Pascals Provinzialbriefe und Time Magazine aus der Hand gelegt. (Wie ich nicht anders erwartet habe, setzen wir jetzt taktische Kernwaffen ein. Zwei Studenten wurden bei einer Protestdemonstration in Omaha getötet.) So ruhelos wie jetzt war ich nicht mehr seit damals, als ich am Bard College zu studieren begann und im ersten Semester dreimal das Hauptfach wechselte.
    Diese Nervosität wirkt sich auch körperlich aus: Ich fühle mich wie ausgehöhlt, meine Kehle ist trocken, und mir ist seltsamerweise ständig nach Lachen zumute.
    Was ist denn so komisch?

    4. Juni
    Ein vergleichsweise nüchterner Morgen.
    Haasts Wunsch entsprechend, werde ich berichten, was sich zwischen dem 19. Mai und dem 2. Juni ereignet hat.
    Am Tag nach dem Lied der Seidenraupe, also am 20. Mai, war ich noch krank und blieb allein in der Zelle; Donny und Peter (bereits wieder versöhnt) und der von der Mafia waren zur Arbeit abkommandiert worden. Dann wurde ich zu Smede ins Büro gerufen, und er übergab mir das Paket mit meinen persönlichen Habseligkeiten. Auf der Liste, die sie bei meiner Einlieferung angelegt hatten, mußte ich jeden einzelnen Posten abzeichnen. Die Flamme der Hoffnung: Hatte mir, o Wunder, eine Protestaktion oder vielleicht gar das schlechte Gewissen der Richter zur Freiheit verholfen? Smede schüttelte mir die Hand, und außer mir vor Freude dankte ich ihm, Tränen in den Augen. Dieser Saukerl muß sich amüsiert haben!
    Dann übergab er mich (und einen Umschlag, der die gleiche widerlich gelbe Farbe hatte wie meine Gefangenenhaut und bestimmt die Sacchetti-Akte enthielt) zwei Wärtern, deren schwarze Uniformen Silberlitzen hatten, sehr deutsch und, wie man so sagt, schnieke wirkten. Wadenhohe Stiefel, lederne Schulterriemen (ein wahrer Harnisch!), spiegelnde Sonnenbrillen, alles, was dazugehört. Peter hätte vor Neid, Donny vor Begierde gestöhnt. Die Wärter machten sich schweigend ans Werk. Handschellen. Eine Limousine mit Vorhängen. Ich saß zwischen den beiden und bombardierte ihre steinernen Gesichter und unsichtbaren Augen mit Fragen. Ein Flugzeug. Schlafmittel. Und so gelangte ich, ohne Brotkrumen auf den Weg streuen zu können, in meine gemütliche Bleibe, ins Lager Archimedes, wo mich die Knusperhexe gut füttert. (Ich brauche nur zu klingeln.)
    Wie man mir sagte, traf ich am 22. hier ein. Am nächsten Tag erstes Gespräch mit H. H. Herzlicher Zuspruch und hartnäckige Mystifikationen. Wie bereits berichtet, blieb ich bis zum 2. Juni einsilbig. Neun Tage lang befand ich mich auf dem Höhepunkt geistiger Verwirrung, doch wie alle großen Erregungen flaute auch diese ab und machte einer ganz gewöhnlichen Angst und schließlich einer bohrenden Neugier Platz. Soll ich gestehen, daß man einer solchen Situation sogar etwas abgewinnen kann; daß ein unbekanntes Schloß tatsächlich interessanter ist als ein längstvertrautes Verlies?
    Aber wem soll ich das eigentlich gestehen? H. H.? Oder Louie II., der mich fast täglich aus dem Spiegel ansieht?
    Nein, ich will so tun, als schriebe ich dieses Tagebuch nur für mich selbst. Mein Tagebuch. Wenn Haast einen Durchschlag will, muß er mir Kohlepapier geben.

    Später
    Ich habe noch einmal Das Lied der Seidenraupe gelesen und frage mich, ob die fünfte Zeile so bleiben kann. Ich will damit eine auf hinterhältige Weise ergreifende Wirkung erzielen, aber vielleicht habe ich nur ein Klischee benutzt.

    5.
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