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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration
Autoren: Thomas M. Disch
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hat der Zensor die Besprechung, die Andrea’s Brief beilag, beschlagnahmt. Seelenqualen der Eitelkeit! Seit zehn Jahren habe ich, abgesehen von meiner miserablen Dissertation über Winstanley, kein Buch veröffentlicht; jetzt sind meine Gedichte erschienen, und es kann fünf Jahre dauern, bis ich sie zu sehen bekomme. Die Pest über Smede! Der Schlag soll ihn treffen!
    Habe versucht, an meinem Gedichtzyklus Zeremonien zu arbeiten. Kann nicht. Die Quelle ist versiegt. Versiegt.

    14. Mai
    Spaghetti.
    In solchen Nächten (ich mache diese Aufzeichnungen nach dem Verlöschen der Lampen, im trüben Schein der 20-Watt-Birne über dem Klosett) frage ich mich, ob meine Entscheidung, ins Gefängnis zu gehen, richtig war. Bin ich nicht ein Narr? Ist das Heldentum oder Masochismus? In meinem Privatleben haben Gewissensgründe keine große Rolle gespielt. Aber verdammt noch mal, dieser Krieg ist ein Unrecht!
    Ich hatte geglaubt (hatte es mir eingeredet), daß der Entschluß, mich einsperren zu lassen, fast das gleiche bedeuten würde wie der Eintritt in ein Trappistenkloster, daß Entbehrungen leichter zu ertragen seien, wenn man sie freiwillig auf sich nimmt. Ich habe stets bedauert, daß es mir als verheirateter Mann versagt blieb, alle Vorzüge des kontemplativen Lebens auszukosten. Ich hielt die Askese für einen seltenen Luxus, für eine geistige Delikatesse. Haha!
    In der Koje unter mir schnarcht ein kleinbürgerlicher Mafioso (wegen Steuerhinterziehung eingelocht) zufrieden vor sich hin. Eine Matratze quietscht in der greifbaren Dunkelheit. Ich versuche an Andrea zu denken. Im Gymnasium riet uns Pater Wilfred, zur Heiligen Jungfrau zu beten, wenn uns lüsterne Gedanken überkämen. Ihm hat’s vielleicht geholfen.

    15. Mai
    Nel mezzo del cammin di nostra vita - tatsächlich! Mein 35. Geburtstag und ein Anflug von Schrecken. Heute morgen, vor dem Rasierspiegel aus Metall, machte sich mein Doppelgänger, Louie II., kurz bemerkbar. Er verspottete und verhöhnte und beschmutzte das Banner des Glaubens, ganz zu schweigen von dem der Hoffnung (das sowieso schon ziemlich schmutzig ist) mit seinen unflätigen Witzen. Ich erinnere mich des deprimierenden Sommers, als ich fünfzehn war, des Sommers, als Louie II. von meiner Seele Besitz ergriff. War es wirklich deprimierend? Nein, in Wirklichkeit machte es mir Vergnügen, non serviam zu sagen, ein Vergnügen, das sich in der Erinnerung noch immer mit meinen ersten sexuellen Erfahrungen vermischt.
    Ist meine gegenwärtige Situation wirklich so anders? Nur insofern, als ich jetzt nicht zu Gott, sondern zu Cäsar non serviam sage.
    Als der Gefängnispfarrer erschien, um mir die Beichte abzunehmen, erwähnte ich diese Zweifel nicht. In seiner Unschuld hätte er sich vielleicht auf die Seite des zynischen zweiten Louie geschlagen. Aber inzwischen hat er gelernt, mich mit seiner dürren Kasuistik zu verschonen (der Herr Pfarrer ist einer jener unverbesserlichen irischen Thomisten!) und mich - angeblich - als den Menschen zu akzeptieren, für den ich mich selbst halte. »Aber hüten Sie sich«, sagte er, bevor er mir die Absolution erteilte, »hüten Sie sich vor geistigem Hochmut, Louie!« Womit meiner Erfahrung nach immer gemeint ist, man solle sich vor dem Denken hüten.
    Wie unterscheidet man zwischen Standfestigkeit und Eigensinn? Und zwischen den beiden Louies? Wie kann man, wenn man sich einmal entschieden hat, aufhören zu fragen? (Das ist die Frage.) Hat jemand wie R. M. solche Probleme? Er wirkt, als hätte er zeit seines Lebens nie an etwas gezweifelt - und dabei scheinen die Mormonen doch besonders viel Grund dafür zu haben.
    Mit meiner Nächstenliebe ist es nicht weit her. Auch diese Quelle versiegt allmählich.

    16. Mai
    Heute haben sie uns hinausgeschickt, um kranke Bäume zu fällen und zu verbrennen. Ein neuer Virus, oder einer von unsern, der sich nach draußen verirrt hat. Obwohl Frühling ist, wirkt die Landschaft vor den Gefängnismauern genauso trostlos wie die dahinter. Der Krieg hat jetzt auch die letzten Spuren unseres einstigen Überflusses getilgt und nagt bereits am Lebensnerv.
    Nach der Rückkehr mußten wir wieder einmal zur Impfung marschieren. Der Arzt ließ mich warten, bis die andern den Raum verlassen hatten. Panik ergriff mich: Hatte er bei mir die Symptome einer jener neuen Krankheiten entdeckt, die uns der Krieg beschert? Nein - er zeigte mir die Rezension von Die Hügel der Schweiz. Gott segne ihn. Die Mons hat sie für New Dissent geschrieben.
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