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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration
Autoren: Thomas M. Disch
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außerhalb dieses ... Lagers... berichten, was Sie hier erleben. Und ich erwarte brutale Ehrlichkeit von Ihnen. Schreiben Sie, was Sie denken. Nehmen Sie keine Rücksicht auf meine Gefühle.«
    »Will ich gern versuchen.«
    Ein mattes Lächeln. »Aber etwas sollten Sie stets beherzigen: Drücken Sie sich nicht zu ... zu obskur aus. Denken Sie immer daran, daß wir an Tatsachen interessiert sind. Nicht an ...« Er räusperte sich.
    »Dichtung?«
    »Wissen Sie, ich persönlich habe nichts gegen Dichtung. Sie können hier soviel dichten, wie Sie wollen - Sie sollen es sogar! Dafür werden Sie hier ein aufgeschlossenes Publikum finden. Aber in Ihrem Tagebuch müssen Sie sich verständlich ausdrücken.«
    Dieser Scheißkerl!
    (Hier muß ich eine Kindheitserinnerung einfügen. Als ich ungefähr dreizehn war, trug ich Zeitungen aus, und unter meinen Abonnenten war ein Offizier im Ruhestand. Jeden Donnerstagnachmittag kam ich zum Kassieren, aber der alte Major Youatt bezahlte immer erst, wenn ich ihm in seinem düsteren, mit Souvenirs vollgestopften Wohnzimmer eine Zeitlang zugehört hatte. Die Hauptthemen seiner Monologe waren Frauen und Autos. Seine Einstellung zu ersteren war zwiespältig: Neugierig lüsterne Fragen nach meinen kleinen Freundinnen wechselten mit orakelhaften Warnungen vor Geschlechtskrankheiten. Autos sagten ihm mehr zu: Hier war seine Erotik frei von Furcht. Er trug Fotos von allen Autos, die er je besessen hatte, in der Brieftasche mit sich herum und zeigte sie mir immer wieder; er weidete sich daran - ein alter Lüstling, der die Trophäen seiner vergangenen Eroberungszüge liebkoste. Daß ich erst mit 29 Jahren Autofahren lernte, habe ich stets auf meinen Horror vor diesem Menschen zurückgeführt.
    Ich erzähle diese Geschichte, weil Haast das Ebenbild von Youatt ist. Ein und dieselbe Schablone. Fit zu bleiben ist ihr höchstes Ziel. Ich vermute, daß Haast noch immer jeden Morgen zwanzig Kniebeugen macht und einige imaginäre Meilen auf einem Trainingsgerät radfährt. Die rissige Kruste seines Gesichts ist von der Höhensonne knusprig braun geröstet. Sein schütteres graumeliertes Haar ist kurz geschoren. Er ist die perfekte Verkörperung des irrwitzigen Glaubens der Amerikaner an ein Leben ohne Tod.
    Und dabei ist er wahrscheinlich eine einzige große Krebskultur. (Stimmt’s, H. H.?)

    Später
    Ich habe mich gefügt: Ich ging zur Bibliothek (die Kongreßbibliothek? Sie ist so riesig !) und lieh etwa drei Dutzend Bücher aus, die jetzt die Regale in meinem Zimmer zieren. Es ist wirklich ein Zimmer, keine Zelle. Die Tür ist Tag und Nacht unverschlossen - falls man in dieser fensterlosen, labyrinthischen Welt überhaupt von Tag und Nacht sprechen kann. Der Mangel an Fenstern soll offenbar durch den Überfluß an Türen wettgemacht werden: Es gibt hier unzählige weiße, an Alphaville erinnernde Gänge mit numerierten, zumeist verschlossenen Türen. Ein richtiges Blaubartschloß. Die einzigen unverschlossenen Türen, die ich bisher entdeckt habe, führen in Zimmer, die meinem aufs Haar gleichen, anscheinend aber unbewohnt sind. Bin ich eine Art Vorhut? Das stetige Surren der Klimaanlage klingt durch die Gänge und singt mich ›nachts‹ in Schlaf. Ist das hier eine Hohlwelt? Als ich die leeren Gänge erkundete, schwankte ich zwischen stummem Entsetzen und stummem Vergnügen - wie bei einem nicht ganz überzeugenden, aber doch recht gelungenen Horrorfilm.
    Mein Zimmer (Sie wollen Tatsachen, Sie sollen sie haben):

    Ich liebe es. Sieh, welch dunkler Ort!
    ›Stockdunkel‹ ist wohl das richtige Wort.
    Einst ließt ihr’s mit weißer Farbe streichen,
    Jetzt kann man sie eher dem Mondlicht vergleichen.
    Bei ihrem Anblick wird mir ganz schwach:
    Ich glaub, sie ist gelb,
    Doch ich weiß es nicht - ach!

    H. H. wird das bestimmt nicht goutieren. »Wirklich, H. H., das ist mir einfach in die Feder geflossen!« Als Gelegenheitsgedicht erreicht es nicht das Niveau von Ozymandias, aber ich will mich auch mit weniger zufriedengeben. Jawohl.
    Mein Zimmer (noch ein Versuch): Schmutziges Weiß (hier haben Sie in aller Kürze den Unterschied zwischen Dichtung und Wahrheit); echte abstrakte Gemälde an den schmutzigweißen Wänden, ganz dem unfehlbaren Geschmack entsprechend, mit dem auch das New Yorker Hilton-Hotel ausgestattet ist, Gemälde, die so nichtssagend sind wie leere Wände oder Rorschachtesttafeln; teure, wuchtige Kirschbaummöbel im dänischen Stil, etwas aufgelockert durch lustig gestreifte Kissen;
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