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Burgfrieden

Burgfrieden

Titel: Burgfrieden
Autoren: Sigrid Neureiter
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auf einen akademischen Diskurs einzulassen, und hatte eher einsilbig geantwortet.
    Jenny fragte sich gerade, ob die Dozentin wohl mit dem Bus in die Altstadt gekommen war, als sie ihrer plötzlich in der Silbergasse wieder ansichtig wurde. Wie war das möglich? Eben hatte sie sie noch zwei Gassen weiter die Buchhandlung betreten sehen, und jetzt tauchte sie plötzlich hier auf. Jenny sah sich noch einmal um, konnte die groß gewachsene, knochige Frau aber nirgends entdecken. Sie musste sich wohl geirrt haben.
     
    *
     
    »Hallo Frau Doktor, so sportlich unterwegs?« Eine Männerstimme riss Jenny aus ihren Gedanken, als sie gerade auf den Waltherplatz einbog. Vor ihr stand Mordred Leitner, einer der Studenten aus dem Team des Professors, und leckte genüsslich an einer der bunten Eiskugeln seines Tüteneises. Neben ihm hielt auch seine Kommilitonin Tina Ebner eine Eistüte in der Hand. Jenny fragte sich gerade, ob sich wohl die gesamte Delegation hier im Zentrum Bozens versammelt hatte, als ihr auffiel, dass einer der Studenten fehlte: Der Dritte im Bunde, Lukas Gruber. Sie beschloss, gar nicht auf Mordreds Bemerkung und sein anzügliches Grinsen einzugehen.
    »Wo ist denn euer Kollege? Wie seid ihr überhaupt hergekommen?« Tina und Mordred warfen sich einen Blick zu, den Jenny nicht zu deuten wusste. Dann platzte das Mädchen heraus:
    »Wir sind mit der Vespa hier, die haben wir schon vorher übers Internet gebucht. Der Lukas wollte eigentlich mitkommen. Ich weiß auch nicht, wo er steckt.«
    Mordred, der sich bis dahin schweigend seinem Eis gewidmet hatte, schien seine Sprache wiedergefunden zu haben.
    »Der kann uns ruhig gestohlen bleiben. Ohne ihn haben wir’s doch viel gemütlicher, wir zwei.« Vertraulich legte er einen Arm um Tinas Schultern, den diese aber gleich wieder abschüttelte.
    »Geh, der wird scho’ no’ kommen.«
    Tina hatte wieder zum ausgeprägten Dialekt ihrer oberösterreichischen Heimat zurückgefunden. Der war Jenny schon während der Zugfahrt aufgefallen. Auch dass Mordred Leitner sehr von sich eingenommen zu sein schien, war ihr nicht entgangen. Jetzt hatte ihm die Studentin aber einen Dämpfer versetzt. Tina Ebner schien jedenfalls eine zu sein, die sich nichts gefallen ließ.
     
    »Bis heute Abend.« Jenny verabschiedete sich. Als sie die in weißen Laaser Marmor gemeißelte Statue Walthers von der Vogelweide passierte, sah sie den, von dem gerade die Rede gewesen war: Lukas Gruber. Der schmale, zurückhaltende Junge, der Mordred und dem Mädchen heute bei der Herfahrt im Zug gegenübergesessen hatte, schien auf jemanden zu warten. Von seinem Standort konnte er den gesamten Platz überblicken. Er musste gesehen haben, wie Mordred und Tina mit ihr gesprochen hatten. Seltsam, dass er nicht längst zu den anderen gestoßen war. Jenny wurde aus seinem Verhalten nicht schlau.
    Wieder schlug eine Kirchenglocke, diesmal war es die der Dominikanerkirche. Jenny zählte fünf Schläge. Jetzt wurde es aber höchste Zeit. Wenn sie noch duschen und sich umkleiden wollte, musste sie sich beeilen. Sie beschleunigte ihr Tempo.
     
    *
     
    Als Arthur die Lobby betrat, kam ihm sein Assistent Lenz Hofer entgegen.
    »Gehen wir in die Sala terrena. Ist es angenehm dort im Gartensalon.« Arthur konnte sich ein Lächeln über die Marotte des jungen Mannes, Subjekt und Prädikat zu vertauschen, nicht verkneifen. Auf seine Nachfrage hin hatte ihm dieser einmal erklärt, wie es dazu gekommen war: Lenz hatte schon mehrmals an so genannten »Poetry Slams« oder auch »Dichterschlachten« genannten Wettbewerben teilgenommen. Dabei ging es darum, einen selbst geschriebenen Text innerhalb einer bestimmten Zeit einem Publikum vorzutragen, das dann als Wertungsrichter fungierte. Der seiner Ansicht nach besseren Rhythmik wegen war Lenz schon früh auf die Idee gekommen, den Satzbau zu verändern, wobei ihn dialektale Gepflogenheiten ebenso inspirierten wie die moderne Stilrichtung des Rap, einem der Hip-Hop-Kultur entstammenden Sprechgesang. In Verbindung mit dem kehligen Südtiroler Akzent gab dies seiner Poesie eine durchaus originelle Note. Irgendwann hatte sich das dann auch in seine Alltagssprache eingeschlichen.
    Solange sich diese Gepflogenheit auf Lenz’ Umgangssprache beschränkte, nicht aber seine Ausdrucksweise in seiner Funktion als Assistent bei Lehrveranstaltungen beeinflusste, konnte der Professor gut damit leben. Er hatte ohnehin die Erfahrung gemacht, dass Studenten mit ausgeprägtem Dialekt viel
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