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Burgfrieden

Burgfrieden

Titel: Burgfrieden
Autoren: Sigrid Neureiter
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Erwiderung auf der Zunge, da trat ihr Kontrahent schon wieder in die Pedale und sauste davon. Jenny schickte eine Salve wütender Blicke in den Rücken des Davonradelnden. Pikiert schüttelte sie den Kopf: Keine Manieren mehr die jungen Männer heutzutage. Aber von so einem ließ sie sich nicht die Laune verderben. Entschlossen nahm sie ihren Laufschritt wieder auf.
     
    *
     
    Prof. Arthur Kammelbach, Inhaber des Lehrstuhls für Ältere deutsche Literatur an der Universität Salzburg, frönte inzwischen einer ganz anderen Passion: Er machte ein Nickerchen. Zu seiner vollen Länge von 1,90 Meter ausgestreckt lag er angekleidet auf dem King Size Bett in seinem Bozener Quartier, als es an der Tür klopfte.
    Arthur schreckte hoch. War er schon wieder eingeschlummert? Irgendetwas stimmte nicht mit ihm in letzter Zeit. Wenn er wieder in Salzburg war, musste er unbedingt seinen Hausarzt aufsuchen. Eigentlich hatte er das ja schon fest vorgehabt, aber ein Anruf war ihm dazwischengekommen: Sein ehemaliger Studienkollege Blasius Botsch, nunmehr Direktor auf Schloss Runkelstein, hatte sich in einer dringenden Angelegenheit an den Professor gewandt. Bei Bauarbeiten in dem zum Küchenlager umfunktionierten Burgverlies war eine bisher unbekannte Handschrift entdeckt worden. Und wenn sein Freund Blasius sich nicht sehr täuschte, dann stammten die Verse auf den Pergamentbögen von niemand Geringerem als dem großen Liederdichter Walther von der Vogelweide.
     
    Arthur war sofort klar gewesen, dass, wenn der Fund sich als echt erwiese, dies eine Sensation wäre. Denn jene Lieder und Sprüche, die der Nachwelt unter Walthers Namen bisher erhalten geblieben waren, hatten erst etwa 100 Jahre nach des Dichters mutmaßlichem Tod in die großen Prachthandschriften Eingang gefunden. Folglich konnten sie kaum als authentisch gelten. Das Mindeste, wovon man ausgehen musste, war, dass bei der mündlichen Überlieferung einiges verlorengegangen, anderes hinzugefügt worden war.
     
    Nun also ein Manuskript, das, wenn schon nicht vom Schöpfer persönlich, so doch zumindest in seinem Auftrag und auf jeden Fall zu seinen Lebzeiten angefertigt worden war. Arthur Kammelbach blieb zunächst skeptisch. Doch das, was ihm Blasius wortreich am Telefon geschildert hatte, war in jeder Hinsicht dazu angetan, seine Bedenken zu zerstreuen. Denn auf den Pergamentblättern befanden sich laut den Ausführungen des Burgdirektors nicht nur Verse mit vielen Durchstreichungen, Ausbesserungen und Einfügungen – allein das schon ein eindeutiger Hinweis darauf, dass hier der Verfasser selbst am Werk gewesen war. Es gab noch ein weitere Besonderheit: Neben den Versen enthielt die Handschrift kurze Kommentare, in denen der Dichter sich jeweils zu Entstehung und Inhalt der Texte, aber auch zur eigenen Befindlichkeit äußerte.
    Überzeugt war Arthur aber noch immer nicht.
    »Was macht dich eigentlich so sicher, dass die Zeilen von Walther stammen?«
    Blasius Botsch schien auf die Frage gewartet zu haben. Schon nach wenigen Augenblicken, in denen nur noch ein Knistern an Arthurs Ohr drang, vernahm er wieder den wohlklingenden Bariton des Freundes:
    »Ich, Walther von der Vogelweide, schreibe diese Zeilen im Winter meines Lebens. Aus dem Landsitz, den mir der Kaiser versprochen hat, ist nichts geworden. Da freute ich mich wohl zu früh. Nun aber habe ich bei den Herren der Burg Runkelstein gnädige Aufnahme gefunden. Ich kehre damit dorthin zurück, wo alles begann: in meine Heimat Tirol.« Der Burgdirektor hatte eine gewichtige Pause eingelegt und war dann fortgefahren: »So beginnt eine der Seiten des Manuskripts, vermutlich die erste und freilich in Mittelhochdeutsch. Ich habe mir erlaubt, schon eine kleine Übersetzung anzufertigen. Du wirst beim Studium des Originals zweifellos noch viel gelehrtere Einsichten gewinnen, als mir dies mit meinem bescheidenem Wissen möglich ist.«
     
    Das war typisch Blasius. Der Professor hatte den Studienkollegen als klugen Kopf und netten Kerl in Erinnerung. Aber er hatte schon immer eine Neigung zum understatement gehabt, daran hatte sich offenbar nichts geändert. Was er da allerdings vorgetragen hatte, klang in höchstem Maße interessant. Eine Reise nach Bozen rechtfertigte dies allemal.
     
    Was Arthur allerdings Kopfzerbrechen bereitete, war die Tatsache, dass er es alleine wohl kaum schaffen würde, die Echtheit der Handschrift zu überprüfen. Umfangreiche Vergleiche mit Texten Walthers, aber auch anderer
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