Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Burgfrieden

Burgfrieden

Titel: Burgfrieden
Autoren: Sigrid Neureiter
Vom Netzwerk:
Äußerungen so verbindlich vorzubringen, dass dem anderen meist gar nichts übrig blieb, als ihr zuzustimmen. Vor allem männliche Kontrahenten ließen sich nur allzu gerne von ihrem Charme einwickeln. Das hatte er in so manchen akademischen Streitgesprächen, an denen sie teilgenommen oder diese – wie es meist der Fall war – angezettelt hatte, feststellen können.
    Wäre jedenfalls schade, wenn sie sich ausgerechnet mit seinem Assistenten nicht vertrug. Arthur hatte gehofft, die Teilnehmer der Delegation rasch zu einem dream team zusammenschweißen zu können. Lenz hatte er dabei die Rolle als Statthalter vor Ort und Jenny quasi die der Außenministerin zugedacht. Spannungen zwischen den beiden waren da fehl am Platz.
    Ob er Lenz ins Gebet nehmen und herausfinden sollte, was los war? Arthur sah zu seinem Assistenten hinüber, der wieder Platz genommen hatte. Auf dem Tischchen vor ihm stand immer noch der Veneziano, aus dem die munteren Kohlensäurebläschen entwichen waren. Die Flüssigkeit war so trüb geworden wie der Blick, mit dem Lenz in sein Glas starrte.
     
    *
     
    In der Schlosskapelle auf Runkelstein betrachtete sich Francesca Rossi in dem großen Standspiegel. Man hatte das ebenerdig gelegene Gotteshaus in eine Garderobe umfunktioniert, damit sich die Schauspieler, die derzeit mit Aufführungen von Umberto Ecos »Der Name der Rose« im Burghof gastierten, umziehen konnten. Heute war spielfrei, und Francesca hatte den niedrigen, von romanischer Rundbogen-Architektur bestimmten Raum ganz für sich.
    Mehr als 13 Jahre waren vergangen, seit sie das erste Mal hier gestanden hatte. Damals waren die Renovierungsarbeiten auf Runkelstein, das in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts auf einem Felsen am Eingang zum Sarntal errichtet worden war, noch in vollem Gange. Nach einer wechselvollen Geschichte, die vor allem in den Anfängen von Nikolaus und Franz Vintler, einem aufstrebenden Brüderpaar aus dem reichen Tiroler Bürgertum, geprägt worden war, hatte der österreichische Kaiser Franz Josef die Burg 1893 der Stadt Bozen geschenkt. Von da an sollte es noch über 100 Jahre dauern, bis Runkelstein mit seinem einzigartigen Freskenzyklus im Jahr 2000 für das Publikum geöffnet wurde.
     
    Francesca riss sich von ihren Gedanken los. Bis zur Ankunft der Delegation aus Salzburg war zwar noch Zeit, aber mit dem, was sie vorhatte, konnte man nicht früh genug beginnen. Langsam begann sie, die Knöpfe ihres langen, prächtigen Gewandes aus rotem Samt einen nach dem anderen zu schließen. Sie hatte sie selbst von Hand angefertigt, als der Direktor vor ein paar Jahren die Idee gehabt hatte, besondere Gäste mit mittelalterlichen Darbietungen zu beglücken. Ihr war die Rolle der Frau Minne, jener allegorischen Figur, die über die Liebenden wacht, zugefallen. Blasius Botsch selbst hatte die Rolle des Sängers Walther von der Vogelweide übernommen.
    Blasius. So viele Jahre waren sie jetzt schon ein Paar und immer noch ein heimliches. Was ihrer Beziehung keineswegs schadete, sondern im Gegenteil dafür sorgte, dass das Feuer ihrer Liebe stets mit einer frischen Brise neu entfacht wurde.
    In letzter Zeit machte er ihr allerdings ein wenig Sorgen. Nicht nur, dass er all ihre Bemühungen um seine Gesundheit in den Wind schlug. Er ließ es sich auch nicht nehmen, mit jedem Mitarbeiter, der dies begehrte, persönlich zu sprechen. In ihren Augen war das verlorene Liebesmüh, vor allem, wenn es um die Süditaliener ging. Erst neulich wieder hatte er diesen Speranza, diesen Kalabrese, so mir nichts dir nichts in sein Büro geführt.
    Bene, das, was der gefunden hatte, schien ja wirklich eine Sensation zu sein. Aber genauso gut hätte er ihr die Handschrift überlassen können, sie hätte sie Blasius dann schon zu gegebener Zeit vorgelegt. So aber hatte sie vor verschlossenen Türen warten und am Ende dem Kerl noch einen Grappa servieren müssen.
    Francesca stemmte die Hände in die wohlgerundeten Hüften und drehte sich noch einmal vor dem Spiegel. Gut sah sie aus, immer noch, mit ihren 57 Jahren. Schade, dass sie ihr volles, von nur wenigen silbrigen Fäden durchzogenes Haar heute unter einem Hut verstecken musste. Aber der gehörte zum Kostüm, ebenso wie die Schnabelschuhe. Die würde sie ganz zum Schluss überstreifen. Etwas anderes hatte jetzt Vorrang. Vorsichtig öffnete sie die hölzerne Schatulle, die sie behelfshalber auf dem steinernen Altar deponiert hatte. Beinahe andächtig entnahm sie ihr zwei lange schwarze
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher