Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Burgfrieden

Burgfrieden

Titel: Burgfrieden
Autoren: Sigrid Neureiter
Vom Netzwerk:
Zöpfe, die sie seit ihrem zwölften Lebensjahr aufbewahrte.

Zwei
     
     
    Heißt mich willkommen,
    Denn ich bringe Euch Neuigkeiten.
    Alles, was man Euch bisher erzählt hat,
    sind leere Worte. Fragt lieber mich!
    Ich will allerdings ein Honorar dafür:
    Wenn das angemessen ist,
    dann werdet Ihr das zu hören bekommen, was Euch gefällt.
    Also, wie steht’s mit der Bezahlung?
     
    Nach Walther von der Vogelweide »Ir sult sprechen willekommen«
     
    Zügig marschierte die kleine Prozession das linke Talferufer flussaufwärts. Vorneweg schritten der Professor und sein Assistent weit aus, dicht gefolgt von den Studenten. Mordred und Lukas hatten Tina in die Mitte genommen, es schien wieder Eintracht zwischen den dreien zu herrschen. Jenny und Dozentin Schmied-Schmiedhausen bildeten das Schlusslicht.
     
    Letztere gab sich Jenny gegenüber etwas weniger zugeknöpft, als dies heute während der Zugfahrt der Fall gewesen war. Ja, sie ließ sich sogar zu einem Du herab, wie es unter ehemaligen Kommilitonen durchaus üblich war. Jenny war sich nicht sicher gewesen, wie die andere, die rein vom akademischen Standpunkt gesehen inzwischen die Ranghöhere war, eine solche Vertraulichkeit auffassen würde, und hatte daher bisher eine direkte Anrede tunlichst vermieden. Jetzt war die Sache geklärt, und vielleicht konnte man mit Xenia ja doch noch in ein vernünftiges Gespräch von Frau zu Frau kommen, das nicht von wissenschaftlichen Thesen strotzte.
    Um eines beneidete Jenny sie jedenfalls: um ihre zwar höchst unansehnlichen, dafür aber umso bequemeren Halbschuhe. Sie selbst war leider dem Rat des Professors, den dieser ihr noch kurz vor dem Aufbruch gegeben hatte, nämlich möglichst praktisches Schuhwerk zu tragen, nur bedingt gefolgt. Zwar hatte sie nach seiner Warnung, dass sie am Ende ihrer Wanderung ein ziemlich unwegsames Steilstück erwartete, umdisponiert und sich statt der geplanten Hochhackigen für Riemchensandalen mit gemäßigtem Absatz entschieden. Aber davon, dass der gesamte Weg entlang der Talfer mit Kies bestreut war, hatte der Professor nichts gesagt. Immer mehr spitze Steinchen sammelten sich unter ihren Fußsohlen. Hätte sie bloß auf Arthur gehört. Besser noch, sie hätte Lenz Hofer gefragt, der war ja schließlich von hier.
    Von hinten betrachtete sie seine schlanke, groß gewachsene Gestalt. Er war der Radfahrer gewesen, mit dem sie heute ihren Beinahe-Zusammenstoß gehabt hatte. Als sie ihn dann mit dem Professor im Salon sitzen sah, hätte sie sich am liebsten unsichtbar gemacht. Nicht, dass sie sich in ihren Shorts nicht hätte blicken lassen können. Aber es war einfach keine angemessene Bekleidung für die erste offizielle Begegnung mit Arthurs Assistenten.
    An Jenny nagte das schlechte Gewissen. Sie war sich dessen bewusst, dass sie unfair zu dem jungen Kollegen gewesen war. Gut, sie hatte sich über seine Nonchalance geärgert, mit der er über den Vorfall hinweggegangen war. Aber schließlich war ihr ja nichts passiert. Dass er an der Fast-Kollision ganz alleine schuld war, bezweifelte sie mittlerweile ohnehin. Schließlich war sie ja auch nicht besonders achtsam gewesen.
    Als er sie dann aber bei der Begrüßung so durchdringend angesehen hatte, war ihr Unmut wieder hochgekommen. Um sich Luft zu machen und um ihre Verlegenheit angesichts ihres leicht bekleideten und ein wenig verschwitzten Zustandes zu überspielen, hatte sie ihn einfach abblitzen lassen. Wobei abblitzen vielleicht ein wenig zu viel gesagt war. Er hatte ihr ja keine Avancen gemacht. Aber einen kleinen Dämpfer hatte sie ihm halt versetzen wollen. Das schien ihr auch gelungen zu sein, wenn sie bedachte, wie förmlich er sie seither behandelte. Nur ein einziges Mal hatte er bisher überhaupt das Wort an sie gerichtet und sie mit »Guten Abend, Frau Doktor« begrüßt, als sie in die Eingangshalle heruntergekommen war. Sein flüchtiger Blick auf ihre Beine war ihr allerdings nicht entgangen. Oder hatte er sich etwa insgeheim über ihre Sandalen mokiert? Die verfluchte Jenny mittlerweile. Jetzt bemerkte sie auch, dass sie hinter den anderen zurückgefallen war. Xenia hatte sich an die Spitze des Zuges gekämpft und redete auf Arthur ein, dahinter schlossen die Studenten auf. Sie fragte sich gerade, wo Lenz war, denn sie konnte ihn nirgends mehr sehen. Da fiel ihr Blick auf Runkelstein. Majestätisch ragte das mächtige Bauwerk in den Abendhimmel, an dem die Sonne nur zögerlich ihren Weg Richtung Horizont antrat.
     
    Jenny
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher