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Bullenball

Bullenball

Titel: Bullenball
Autoren: Stefan Holtkötter
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zu erschaffen, in der alle Menschen nett waren und
sich mochten. An ihren allerbesten Tagen gelang es ihr, so mitreißend an das
Gute zu glauben, dass alle um sie herum davon angesteckt wurden.
    Dabei war das, was sie jetzt sagte, völliger Unsinn. Er wusste das,
und sie wusste es auch. Ben hatte nie irgendwo dazugehört. Ganz im Gegenteil.
Er war das ideale Opfer gewesen, immer schon. Im Kindergarten, in der Schule
und bei den Jungs in seiner Straße. Sie hatten ihn in Mülltonnen gestopft, sein
Taschengeld abkassiert und ihm das Leben auch sonst zur Hölle gemacht. Die
anderen Kinder hatten instinktiv begriffen: Ben wehrte sich nicht. Vor ihm
brauchte keiner Angst zu haben.
    Sein Vater hatte ihm abgewöhnt, sich zu wehren. Er duldete nichts
als Unterwerfung, und so lernte Ben stattdessen, sich zu ducken und unsichtbar
zu werden. Wenn das nichts half, musste er geduldig ausharren, bis es vorüber
war. So ging das bis zum Beginn seiner Pubertät. Da wurde er für die anderen
einfach zum Sonderling, den man besser in Ruhe ließ.
    »Komm schon, Ben. Tu es mir zuliebe. Morgen Abend im Probenraum der
Jazzband. Du weißt doch, wo das ist? Im Festsaal der Gaststätte Lütke-Zumbrink
in Brook.«
    »Also gut«, sagte er. »Mal sehen, ob ich es schaffe. Versprechen
will ich lieber nichts.«
    »Super! Dann sehen wir uns! Ich freu mich drauf!«
    Die Partygeräusche im Hintergrund standen in seltsamem Kontrast zu
der Einsamkeit in seinem WG -Zimmer. Um ihn herum bewegten sich lautlos
die Rauchschwaden.
    »Ich soll dich übrigens von Uli grüßen«, meinte Jule. »Sie steht
hier neben mir.«
    Er schnaubte. Natürlich. Das konnte er sich lebhaft vorstellen. Uli
würde im Leben nicht auf die Idee kommen, ihm Grüße auszurichten. Stattdessen
stand sie bestimmt sichtlich genervt herum und wartete ungeduldig darauf, dass
Jule endlich das Gespräch mit ihrem bescheuerten Bruder beendete und sie
weiterfeiern konnten.
    »Möchtest du mit ihr sprechen?«, fragte Jule.
    »Nein. Grüß sie zurück. Schönen Abend noch.«
    Er beendete das Gespräch und warf das Handy zurück ins Durcheinander
auf seinem Schreibtisch. Nie im Leben würde er zu dieser lächerlichen Verlobung
gehen. Das fehlte gerade noch.
    Nebenan hörte er seine Mitbewohnerin aufs Klo schleichen. Wenn sie
kotzte, machte sie das inzwischen beinahe lautlos. Doch die Wände waren aus
Pappe, und er hatte gelernt, seine Ohren zu spitzen, daher konnte sie ihm
nichts mehr vormachen. Die Spülung ertönte, dann verschwand sie wieder in ihrem
Zimmer.
    Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und betrachtete den
Computerbildschirm. Ein Lächeln umspielte seinen Mund. Jule, Jonas, seine
Schwester und all die anderen. Sie hatten keine Ahnung, was passieren würde.
Schon bald würde alles anders sein. Sein Plan würde aufgehen. Keiner traute ihm
etwas Derartiges zu, und genau deshalb würde alles reibungslos funktionieren.
    Das Lächeln wurde breiter. Seine Rache war perfekt. Nur noch wenige
Tage, dann war es so weit.

2
    Bernhard Hambrock stand vor dem hübschen Einfamilienhaus
inmitten eines bürgerlichen Münsteraner Vororts, in der Linken einen
Blumenstrauß, in der Rechten eine gute Flasche Wein. Er trug einen Anzug,
obwohl er damit wahrscheinlich etwas overdressed war, und fühlte sich, als wäre
er bei entfernten Verwandten zu einem Höflichkeitsbesuch eingeladen. Irgendwie
förmlich und gezwungen. Dabei war das völliger Unsinn. Dies war kein Anstandsbesuch,
und die Einladung dazu war auch nicht höflich gemeint.
    Er beugte sich vor und drückte die Klingel. Ihm wurde bewusst, dass
er das Haus seiner Kollegin noch niemals betreten hatte. Er war zwar schon
einige Male hier gewesen, um sie mit dem Wagen abzuholen oder ihr ein paar
Unterlagen vorbeizubringen, die sie übers Wochenende durchsehen wollte. Dabei
hatte er auch ihren Ehemann kennengelernt, einen netten, wenn auch für seinen Geschmack
etwas zu farblosen Mann. Es war aber immer bei einem kurzen Gespräch auf der
Schwelle geblieben.
    Es war schon seltsam: Seit Jahren verbrachte er beinahe jeden Tag
mit ihr, viel mehr Zeit als mit seiner Ehefrau oder sonst jemandem. Er wusste,
er konnte sich blind auf sie verlassen. Sie hatten schon einige schwierige
Situationen gemeistert – draußen bei gefährlichen Ermittlungen, aber auch
innerhalb des Präsidiums, wenn es Schwierigkeiten mit Vorgesetzten oder mit der
Staatsanwaltschaft gab. Eigentlich müsste sie ihm näher stehen als manch anderer.
Und doch hatte er noch kein
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