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Bullenball

Bullenball

Titel: Bullenball
Autoren: Stefan Holtkötter
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Zeit gewesen war?
    Sie erinnerte sich an ihren ersten Schultag am Gymnasium. Das war
noch ein großer Sieg gewesen. Da hatte sich das Schicksal auf ihre Seite
geschlagen. In der Grundschule waren sie nämlich unzertrennlich gewesen, ein
Dreiergespann: Jonas, Jule und Marie. Sie hatte gewusst, dass Jule heimlich in
Jonas verliebt war, auch wenn sie nie darüber sprachen. Ob Jule wohl auch über
Maries Gefühle Bescheid gewusst hatte? Bestimmt. Ein unausgesprochener
Konkurrenzkampf zwischen zwei Freundinnen.
    Aber dann hatte Jule keine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen. Sie
blieb in Brook und wechselte auf die Realschule, während Jonas und sie jeden
Tag mit dem Bus nach Nottuln fuhren. Zwei Kinder aus Brook, die fremd waren in
der neuen Schule. Da war der Weg frei für Marie. Vor ihr lagen acht Jahre, in
denen sie Jonas davon überzeugen konnte, dass sie die Richtige für ihn war.
Acht lange Jahre.
    Damals hatte sie geglaubt, ihre Zukunft wäre bereits vorgezeichnet:
Sie und Jonas würden ein Paar werden, zusammen Abitur machen, danach in Münster
studieren, und irgendwann einmal würde Hochzeit gefeiert werden. Ein
gemeinsames Leben in Brook, Kinder, ein Haus. Doch irgendwie hatte Marie
vergessen, für diese Zukunft zu kämpfen. Sie hatte immer nur darauf gewartet,
dass Jonas den ersten Schritt machte.
    Und jetzt war es zu spät.
    »Nein, ich hab eine bessere Idee! Wie wär’s, wenn wir Buttersäure in
ihren Schulranzen kippen?«
    »Buttersäure?«
    »Ja, klar. Die kann man im Internet kaufen. Das kriegt doch keiner
mit, wenn wir das heimlich in der Pause machen. Das Gesicht möchte ich sehen,
wenn die das bemerkt. Buttersäure ist super.«
    »Hör auf. Den Gestank bekommt man nie wieder weg. Das finde ich
fies.«
    »Wieso denn? Vielleicht merkt sie das ja nicht mal. Die stinkt doch
selber nach allem Möglichen. Vielleicht denkt sie: Mhm, das riecht aber gut in
meinem Ranzen.«
    Marie sah sich die Mädchen genauer an. Wie gemein sie waren. Lag das
am Alter? War sie selbst damals genauso gewesen? Auch sie hatte mit ihren
Freundinnen rumgealbert und über andere gelästert, aber so weit wäre sie nie
gegangen. Oder doch?
    Sie versuchte erneut, die lauten Stimmen zu ignorieren. Sie dachte
an Jonas. An ihre gemeinsame Zeit auf dem Anne-Frank-Gymnasium. In der sechsten
Klasse waren sie ein Paar gewesen, wenn auch nur für einige Wochen. Händchen
halten auf dem Schulhof, einmal sogar ein Kuss. Es war so schön gewesen,
einfach perfekt. Aber dann kündigte sich die Pubertät an, und Jonas
interessierte sich auf einmal nicht mehr dafür, Händchen haltend über den Hof
zu schlendern. Stattdessen verschwand er in den Pausen heimlich mit den anderen
Jungen, um verbotene Zigaretten zu paffen und über Bundesligatabellen zu diskutieren.
Da war keine Zeit mehr für sie. Aber das machte ihr nichts aus. Sie wusste ja,
das würde vorbeigehen. Es war eine Phase, ganz normal bei Jungen in der
Pubertät. Ihm würde noch früh genug klar werden, wie sehr er sie liebte, und
dann würde er beginnen, um sie zu kämpfen. Sie musste nur abwarten.
    Der Zug wurde langsamer. Die Leute begannen, nach ihren Jacken und
Taschen zu kramen. Einige stellten sich bereits an den Ausgang und sahen
ungeduldig hinaus. Auch die Mädchen vom Anne-Frank-Gymnasium zogen ihre Jacken
an.
    »Das mit der Buttersäure sollten wir uns noch mal überlegen. Ich
mach mich schlau, was das kosten würde. Echt, ich finde die Idee einfach
super!«
    »Nein, das ist zu krass. Da finde ich meinen Vorschlag schon
besser.«
    »Ihre Unterhose aus der Umkleide zu klauen und allen die Bremsspur
zu zeigen? Das ist doch genauso krass. Außerdem werde ich die nicht anfassen, so viel ist klar.«
    »Das kann ich übernehmen!«, rief eine andere. »Und dann werf ich sie
dir ins Gesicht!« Sie schleuderte dem anderen Mädchen einen Schal entgegen.
    »Iiiih! Wie eklig! Du bist echt …« Der Rest ging im Gelächter unter.
    »Was seid ihr nur für blöde Hühner!« Es war Marie einfach
herausgerutscht. »Ihr seid nicht allein im Zug. Könnt ihr nicht etwas leiser
sein?«
    »Hört euch die an!«, rief eines der Mädchen
und äffte Marie nach: »Könnt ihr nicht etwas leiser sein?«
    »Ach, die würd ich gar nicht weiter beachten!«
    »Genau. Spießerin.«
    Marie drehte sich weg. Schon jetzt bereute sie, damit angefangen zu
haben. Sie hatte doch gar keine Kraft, sich zu streiten.
    Draußen zog die Halle Münsterland vorbei. Lang gestreckte
Messehallen, Flachdachbauten, Mauern und
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