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Bullenball

Bullenball

Titel: Bullenball
Autoren: Stefan Holtkötter
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Parkplätze. Das Gelände versank in der
Dämmerung. Bald würden die Laternen aufflackern. Zwischen den Sträuchern am
Parkplatzrand tauchte ein Mann auf, huschte geduckt auf einen Metallzaun zu und
schwang sich mit einer einzigen fließenden Bewegung hinüber. Schon war er fort.
Das alles ging so schnell, dass Marie sich im nächsten Moment fragte, ob
überhaupt etwas gewesen war. Sie fixierte den Zaun und seine Umgebung, doch es
war nichts mehr zu erkennen. Mietshäuser rückten ins Bild, das Messegelände
verschwand. Kurz darauf hatte sie den Mann vergessen.
    Sie dachte wieder an Jonas. Das Schlimmste war: Sie war selbst
schuld an der ganzen Sache. Sie hatte nie um Jonas gekämpft. Ihre gemeinsame
Zukunft hatte immer nur in ihrer Phantasie existiert. Wahrscheinlich wusste er
nicht einmal von ihren Gefühlen. Woher auch, sie hatte ja nie was gesagt.
    Der Zug fuhr in den Bahnhof ein. Die Türen öffneten sich, und die
Menschen strömten hinaus. Sie blickte sich nach den Mädchen vom
Anne-Frank-Gymnasium um, aber sie waren nirgends mehr zu sehen. Das Abteil
leerte sich.
    Langsam erhob sie sich, nahm ihren Klarinettenkoffer und die Noten
und steuerte ebenfalls den Ausgang an. Auf dem Bahnsteig empfing sie leichter
Sprühregen, doch nach ein paar Metern hatte sie den überdachten Gleisabschnitt
erreicht.
    Vor einer Stunde hatte sie es von ihrer Mutter erfahren: Jonas und
Jule würden heiraten. Die Hochzeit war schon genau geplant. Ihre Mutter war
ganz aus dem Häuschen deswegen. Jonas und Jule. Als wäre das die größte Sache
der Welt. Sie fragte nicht, ob Jule überhaupt die Richtige für ihn war. Oder ob
die beiden nicht viel zu jung fürs Heiraten waren. Ob das denn alles gut gehen
konnte. Und am wenigsten fragte sie danach, wie Marie sich dabei fühlte.
    Dieses Mal würde Jule nicht auf eine andere Schule geschickt werden.
Sie würde am Altar neben Jonas stehen und Ja sagen. Bis dass der Tod uns
scheidet. Die Zeit lief ab, Marie konnte nichts dagegen unternehmen.
    Die Motoren der Lok wurden abgeschaltet. Es zischte, dann wurde
alles ruhig. Die Türen blieben für die Putzkolonne geöffnet. Marie war allein
auf dem Bahnsteig. Schritt für Schritt näherte sie sich dem Ausgang. Ihre
Absätze klackerten einsam über die Betonplatten.
    Sie musste etwas tun. Dies durfte nicht das Ende sein. Sie musste um
Jonas kämpfen. Sie musste alles nachholen, was sie versäumt hatte.
    Diese Hochzeit durfte niemals stattfinden.
    Er war bereits losgespurtet, als er den Regionalzug hinter sich
bemerkte. Rumpelnde Waggons und eine Kette hell erleuchteter Fenster. Dort oben
hinter den Scheiben saßen zahllose Menschen und glotzten gelangweilt heraus.
Alles potenzielle Zeugen. Es hatte keinen Sinn mehr umzukehren, also rannte er
weiter und schwang sich mit einem einzigen Satz über den Metallzaun. Nur
schnell weg aus dem Blickfeld dieser Leute.
    Auf der anderen Seite standen Müllcontainer. Er versuchte noch,
ihnen im Fall auszuweichen. Doch da war es bereits zu spät. Seine Hüfte wurde
von einem der Container erfasst, der Körper herumgerissen, seine Schulter
knallte gegen Metall, dann rutschte er ab und landete bäuchlings auf dem Boden,
mit dem Gesicht auf dem nackten Asphalt.
    Flammender Schmerz durchfuhr ihn. Mit Mühe unterdrückte er einen Aufschrei.
Er krümmte sich, betastete vorsichtig seine Schulter, zog das Bein an. Es
schien nichts Schlimmes passiert zu sein, abgesehen von ein paar Prellungen
hatte er keine Verletzungen. Mit einem Seufzer schloss er die Augen.
Verfluchter Regionalzug.
    Mühsam raffte er sich auf und humpelte zurück zum Metallzaun. Der
Zug war gerade hinter den Mietshäusern verschwunden. Wie groß war die
Wahrscheinlichkeit, dass er entdeckt worden war?
    Er wandte sich ab, massierte sein Bein und huschte in den Schatten
der Hallenwand. Aus der Hosentasche zog er den Sicherheitsschlüssel für den
Hintereingang. Es war nicht ganz einfach gewesen, ihn nachzumachen, doch
mithilfe ein paar alter Kontakte war es ihm letztlich gelungen. Der Schlüssel
glitt ins Schloss wie in Butter, im nächsten Moment gab die schwere Glastür
nach.
    Im Innern herrschte Dunkelheit. Da war nichts außer dem Blinken der
Alarmanlage. Er hatte zehn Sekunden Zeit, den Code einzugeben, danach würde sie
losgehen. Lautlos schloss er die Tür, tippte die Zahlenkombination ein und
drückte auf Enter. Ein leises Piepsen ertönte, das blinkende Licht erlosch. Aus
seinem Rucksack holte er eine Taschenlampe. Ihm blieb nicht viel Zeit, in
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