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Buch Der Sehnsucht

Titel: Buch Der Sehnsucht
Autoren: Anselm Gruen
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als ich mir bisher zugestanden habe. Ich komme mit meinem wahren Wesen in Berührung. Heilige sind Bilder, durch die wir das eigene Bild klarer erkennen. Sie geben uns Mut, uns bedingungslos anzunehmen, nicht nur mit unseren Schattenseiten, sondern gerade auch mit unseren Lichtseiten, mit den Fähigkeiten und Möglichkeiten, die in uns stecken. Sie inspirieren uns dazu, unserer Sehnsucht zu folgen.

    EIN STACHEL DER LIEBE

    Als ich ins Kloster eintrat, habe ich mir als Namenspatron den heiligen Anselm von Canterbury gewählt. Zu ihm habe ich bis heute eine besonders nahe Beziehung. Anselm heißt: Der von den Göttern Beschützte. Nach seinem Biographen, dem heiligen Edmar, galt er als der liebenswürdigste Mensch seiner Zeit. Sein Leben ist geprägt von politischen Konflikten und Unruhen. Er war Bischof, verbrachte aber die meisten seiner Amtsjahre im Exil. Und doch wird hinter allen Konflikten, in die er hineingezogen wurde, immer wieder der eigentliche Antrieb seines Lebens sichtbar: Herz und Verstand aufzuschwingen zum Eigentlichen, zum Grund allen Lebens. Anselm zeichnet sich aus durch eine betende Theologie - eine Formulierung, die durch ihn zum stehenden Begriff geworden ist. Auch seiner Wissenschaft merkt man diese Grundintention an. Berühmt ist der Beginn des Proslogions: „Auf, du kleiner Mensch, flieh ein wenig deine Geschäftigkeit! Verstecke dich eine kleine Weile vor deinen lauten Gedanken! Wirf die Sorgen ab, die auf dir lasten, und nimm Abstand von dem, was dich zerstreut! Gönne dir Zeit für Gott und ruhe in ihm! Sprich zu Gott: , Dein Antlitz, o Herr, will ich suchen' (Psalm 27,8). Mein Herr und mein Gott, lehre du mein Herz, wo und wie es dich suchen, wo und wie es dich finden kann." In diesen Worten wird deutlich, welch tiefe Sehnsucht nach Gottes Angesicht Anselm zu seiner Theologie antrieb. Sein berühmter Wahlspruch ist: „Credo ut intelligam - ich glaube, damit ich einsehe, damit ich verstehe." Ihm genügte es nicht, die Glaubenssätze nur zu übernehmen. Er wollte sie mit seinem Verstand durchdringen und verstehen. Und doch ist für ihn nicht der Verstand der letzte Maßstab. Vielmehr ist der Glaube der Grund, auf dem der Verstand aufbauen kann. Dieser erst öffnet dem Menschen die Augen, damit er die Wirklichkeit so sehen kann, wie sie ist. Anselms Gestalt ist für mich eine Herausforderung, mein eigenes Leben bewusster zu leben. An ihm fasziniert mich nach wie vor, mit welcher Sehnsucht er danach verlangt, das Antlitz Gottes zu schauen, ihn zu suchen und zu verstehen. Sein Denken ist getrieben von der Sehnsucht, Gott zu finden und seine Nähe zu erfahren. Eines seiner schönsten Gebete lautet: „Herr, lehre mich dich suchen, und zeige dich dem Suchenden; denn ich kann dich ja nicht suchen, wenn du es nicht lehrst, und ich kann dich ja nicht finden, wenn du dich mir nicht zeigst. Sehnsüchtig will ich dich suchen und im Suchen die Sehnsucht steigern; liebend will ich dich finden und beim Finden noch mehr dich lieben." Anselm verbindet Sehnsucht mit Suchen. Suchen und Sehnsucht, Finden und Liebe - diese vier Pole der Suche nach Gott gehören für Anselm eng zusammen. Indem ich ihn suche, wird meine Sehnsucht nach ihm immer stärker. Es ist letztlich die Liebe zu Gott, die mich antreibt, Gott zu suchen und ihn zu finden. Und dass ich ihn gefunden habe, treibt mich an, ihn noch mehr zu lieben. Suchen und Finden hören aber nie auf. Ich werde ihn nie so finden, dass ich nicht mehr suchen muss. Indem ich ihn finde, entzieht er sich mir erneut. Aber im Finden, im Ertasten, im Erhaschen Gottes wächst meine Liebe zu ihm. Und die Liebe stachelt meine Sehnsucht an. So beginne ich von neuem, sehnsüchtig nach Gott zu suchen. Für mich persönlich ist Anselm bis heute eine ständige Herausforderung, nicht abstrakten Sätzen nachzulaufen, sondern eine Theologie des Herzens zu betreiben, der Sehnsucht meines Herzens zu trauen. Er motiviert mich, den suchenden Menschen nicht zu entmutigen, sondern ihm zu zeigen, dass er mit seiner Sehnsucht nach einer tieferen Liebe nicht allein ist. Anselm ist für mich selbst zudem Ansporn, mich nicht von Katastrophenmeldungen bestimmen und von Klagen über die Zeitverhältnisse entmutige n zu lassen, sondern dem Gott zu trauen, der das Herz des Menschen zu wandeln vermag, der auch nach langen Konflikten wieder Frieden möglich macht. Das ist die Botschaft dieses Lebens: Sehnsucht führt über das eigene begrenzte Ich hinaus und relativiert die Probleme,
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