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Buch Der Sehnsucht

Titel: Buch Der Sehnsucht
Autoren: Anselm Gruen
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Aber auch das ist Sehnsucht: Ein Versprechen liegt in der Luft, ein Traum lockt. Sehnsucht zielt auf Erfüllung und verheißt dem Leben Sinn, Ziel, Bedeutung, Glanz. Wie die Liebe. Liebe und Sehnsucht gehören zusammen. Auch die Liebe will Grenzen überspringen, die dem eigenen Ich gesetzt sind. Nach der griechischen Mythologie ist Eros ein Dämon, ein Zwischenwesen zwischen den Göttern und den Menschen. Penia, die Armut, ist seine Mutter und sein Vater der Gott Porös. Weil er an beiden Welten teilhat, kann Eros zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen vermitteln. Er weiß, dass Menschen bedürftig sind: arm und liebeshungrig. Und er hält die Sehnsucht nach der Liebe wach. Die Sehnsucht träumt davon, all das aufzuheben, was an uns Begrenzung ist. Und im Eros lebt die Lust auf ein Glück, das nie aufhört: „Alle Lust will Ewigkeit." Sehnsucht hofft, endgültig und für immer, in allem unerlösten Lärm das entscheidende Wort zu hören, das Trost gibt und Geborgenheit. Im hektischen Auf und Ab des Alltags den erfüllten Augenblick zu erleben, in dem die Zeit ganz aufgehoben ist. In all der Lust die Liebe, die mich meint, zu finden. Wenn wir dieser Sehnsucht in uns folgen, so Grün, führt uns das auf unsere eigentliche Lebensspur. Natürlich weiß Anselm Grün um das Doppelgesicht der Sehnsucht. Trotzdem hält er sie für die wichtigste spirituelle Kraft in uns. Sie zeigt den Weg zum wahren Glück. 
    Eine sehnsuchtslose Welt wäre ein Alptraum - wenn das Leben nur die „letzte Gelegenheit" wäre, alles noch in sich hineinzustopfen, oder alles zu horten in der Gefriertruhe des Ego. Anselm Grüns Vorstellung vom Glück ist anders: Das Feuer in der Seele nicht ausgehen lassen, sondern es schüren, damit die Welt nicht erkaltet und verhärtet. Die Ziele weit stecken - und so Raum lassen für Hoffnung und Traum. Das Herz weit machen, denn in unserer Sehnsucht erst finden wir wirkliche Heimat. Geborgenheit suchen aber nicht stehen bleiben beim einmal Erreichten. Sein Rat: Lass deine Träume nicht versanden. Suche Räume, in denen du sein und werden kannst, was du bist. Lebe Beziehungen, die heilsam sind. Verlass die starren Gleise des Gewohnten, bleib auf dem Weg. Geh deiner Sehnsucht auf den Grund - und halte sie wach. Nichts anderes ist übrigens Spiritualität. Anthony de Mello, auf den sich Anselm Grün gerne bezieht, hat einmal gesagt: „Um in dem Abenteuer, genannt Spiritualität, Erfolg zu haben, muss man fest entschlossen sein, aus dem Leben so viel wie möglich herauszuholen. Viele Menschen begnügen sich mit Nichtigkeiten wie Reichtum, Ruhm, Bequemlichkeit und Sozialprestige." Ziele, die viel zu klein sind, im Vergleich zu dem, was wirklich möglich ist.
    Also: Endstation Sehnsucht? Nein - Sehnsucht ist der Anfang jeder Lebenskunst. Mehr noch: Sehnsucht ist der Anfang von allem.

    I. SPRACHE DER SEELE

    EINE EMOTION VOLLER KRAFT

    Das deutsche Wort Sehnsucht ist kaum in andere Sprachen zu übersetzen. Und auch das griechische Wort, das der Sehnsucht zugrunde liegt, hat nicht die Bedeutungsfülle, die der Begriff in der deutschen Sprache angenommen hat. Das griechische Wort epithymia meint eigentlich Verlangen. Es kommt aus dem thymós, aus dem emotionalen Bereich. Thymós heißt ursprünglich Luft, Sturm, das Bewegte und Bewegende, die Lebenskraft. Ursprünglich meint das griechische Wort also eine Erregung, ein heftiges Verlangen, das mit der ganzen Vitalität des Menschen gefüllt ist. So benutzt es noch Lukas, wenn er von Jesus sagt: „Epithymía epethýmesa = mit Sehnsucht habe ich mich danach gesehnt, dieses Paschamahl mit euch zu essen" (Lukasevangelium 22,15). Jesus spricht hier von einer Sehnsucht nicht nur des Geistes, sondern seiner ganzen Person, von einer Sehnsucht, die voller Kraft ist, voller Erregung des Herzens. In der griechischen Philosophie wird das Wort häufig abgewertet als Begehren des Fleisches, das dem Geist widerspricht. Und auch in der Bibel wird das Wort meistens in dieser negativen Weise benutzt, als etwas Sündiges, Gottwidriges.
    Das lateinische Wort desiderium meint ursprünglich „Verlangen, Begehren". Es hat offensichtlich mit sidus =  „Gestirn" zu tun. Die lateinischen Schriftsteller sprechen vom Feuer der Sehnsucht oder von der brennenden Sehnsucht nach etwas, das man nicht hat. Die Sterne kann man nur sehen. Aber man kann sie nicht greifen. In der stoischen Philosophie wurde das Begehren häufig mit desiderium carnis, mit dem fleischlichen
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