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Buch Der Sehnsucht

Titel: Buch Der Sehnsucht
Autoren: Anselm Gruen
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Unfähigkeit, im Augenblick zu leben. Sie ist die Folge frustrierter Begehrlichkeit und eine Mischung aus Traurigkeit und Groll. Für Evagrius ist sie der gefährlichste Dämon, der nicht nur einzelne Seelenteile bekämpft, sondern die ganze Seele lahm legen kann. Evagrius, ein griechischer Mönch, den man als den Psychologen unter den frühen Mönchen bezeichnen könnte, nennt den Dämon der Akedia den Mittagsdämon, weil er um die Mittagszeit kommt. Um 15.00 Uhr gab es Essen. In der Zeit der größten Hitze und vor dem Essen ist das Leben offensichtlich besonders beschwerlich. Der Mönch spürt seinen Hunger und kann ihn nicht mehr aushalten. Deshalb muss er ständig Ausschau halten nach der Sonne, ob es nicht bald Zeit zum Essen ist. Der Mittagsdämon ist aber auch ein Bild für die Krise der Lebensmitte. In der Lebensmitte erleben viele Menschen, dass sie sich selbst nicht mehr aushalten können. Sie fühlen sich in sich selbst zerrissen und ruhelos. In dieser Zerrissenheit können sie weder sich selbst aushalten noch die ändern. Auf der einen Seite sehnen sie sich nach einem Menschen, damit sie nicht allein sind. Doch wenn dann einer kommt, geht er ihnen auf die Nerven. Und so steigern sie sich in das Urteil hinein, dass die Liebe zwischen den Menschen erstorben sei, dass es keinen mehr gäbe, der Zeit für sie hätte. Für die frühen Mönche war der Umgang mit den Emotionen und Leidenschaften ein zentrales Thema ihres spirituellen Lebens. Die graue Erfahrung der Langeweile, das bleierne Gefühl des Überdrusses, die Schwere des Eingeengtseins auf sich selbst ist nichts, was erst in der Moderne auftaucht. Aber es gehört zu den Versuchungen des Menschseins bis heute.

    SCHMOLLWINKEL

    In Gesprächen höre ich immer wieder die Klage darüber, dass Menschen sich allein fühlen, dass sie niemanden haben, der sie in den Arm nimmt, mit dem sie über ihre persönlichen Anliegen sprechen können. Es ist die Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit, die ich aus dieser Klage heraushöre. Ich versuche, diese Sehnsucht anzusprechen und den Gesprächspartner oder die Gesprächspartnerin zu fragen, was er oder sie sich von der Nähe eines anderen Menschen verspricht. Dann höre ich Worte wie: „Ich möchte einen Menschen, der einfach da ist, der es mit mir aushält, der mir beisteht, wenn es mir mal nicht so gut geht, der mich versteht, der mich nicht beurteilt, vor dem ich keine Angst haben muss. Es ist die Sehnsucht nach einem, der mich zärtlich streichelt, dem ich ungeschützt sagen kann, was gerade in mir ist." Ich frage dann oft zurück: „Können Sie sich selbst nahe sein? Können Sie selbst zärtlich zu sich sein? Können Sie sich selbst einfach wahrnehmen, ohne sich zu beurteilen oder zu verurteilen? Können Sie dem kleinen verletzten Kind in sich Geborgenheit schenken?" Und ich erlebe oft, dass die Menschen von anderen erwarten, was sie sich zuerst einmal selbst geben könnten. Je unfähiger aber ein Mensch ist, sich selbst nahe zu sein, desto größer ist in ihm die Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit. Wir können uns diese Sehnsucht nicht selbst erfüllen. Wir brauchen Menschen, die uns Geborgenheit schenken. Und wir brauchen Gottes heilende und liebende Nähe, in der wir uns geborgen wissen. Doch wenn wir nur und ausschließlich von anderen Menschen oder von Gott diese bergende Nähe ersehnen, werden wir sie nie erfahren. Wir müssen also etwas ganz Elementares lernen: Uns selbst nahe zu sein, es bei uns selbst auszuhalten, liebevoll mit uns umzugehen, damit wir auch die Nähe und Geborgenheit genießen können, die wir von anderen Menschen und von Gott erleben. Die Sehnsucht nach Geborgenheit darf uns nicht in die Passivität führen. Vielmehr soll sie uns in Bewegung bringen, damit wir uns selbst nahe kommen und uns für die Menschen öffnen, die schon in unserer Nähe sind. Wenn wir ihnen nahe kommen, werden wir auch ihre Nähe erfahren. Wenn wir uns nur allein gelassen fühlen und im Schmollwinkel unserer Einsamkeit sitzen bleiben, wird allerdings nie jemand in unsere Nähe gelangen.

    WUNSCHLOSES UNGLÜCK

    Der österreichische Schriftsteller Peter Handke hat als junger Mann ein Buch geschrieben, das den Titel trägt „Wunschloses Unglück". Es ist ein gerade in seiner nüchternen Beschreibung beeindruckender Bericht über das Leben seiner Mutter. Die ist in engen katholischen Verhältnissen auf dem Land aufgewachsen und hat sich nach einer unglücklichen Ehe mit einundfünfzig Jahren das Leben
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