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Buch Der Sehnsucht

Titel: Buch Der Sehnsucht
Autoren: Anselm Gruen
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durch eine Überdosis Schlaftabletten genommen. Ganz sachlich, und doch sehr bewegend beschreibt das schmale Buch das Leben dieser Frau. Sie hatte alle Illusionen verloren, ihre kleinen und großen Hoffnungen unterdrückt und war, da sie nicht mehr nach vorne schauen konnte, immer depressiver geworden. Das trostlose Milieu ihres Daseins ist von einem bleiernen Grau bestimmt:
    „Nicht das Nichtstun war süß, sondern das Arbeiten. Es blieb einem ohnehin nichts anderes übrig. Man hatte für nichts mehr Augen. Neugier war kein Wesensmerkmal, sondern eine weibliche oder weibische Unart." Es gab keinen Raum für Träume. Alles war nur grauer, trostloser Alltag. Man hatte sich an alles gewöhnt. Phantasielos, lustlos funktionierte man, um die Eintönigkeit zu bewältigen. Sogar den Kindern waren die Wünsche ausgetrieben. Es war - so erinnert sich der Sohn - lächerlich, ernsthaft Wünsche zu äußern. Selbst an Weihnachten brach nichts Neues in diese Welt ein: „Weihnachten: das, was ohnedies nötig war, wurde als Geschenk verpackt. Man überraschte einander mit dem Notwendigen, mit Unterwäsche, Strümpfen, Taschentüchern, und sagte, dass man sich gerade das auch gewünscht hätte." So fasst der Sohn die Beschreibung seiner Mutter in dieser Welt des traumlosen Pragmatismus zusammen mit den Worten: „Selten wunschlos und irgendwie glücklich, meistens wunschlos und ein bisschen unglücklich."
    Und im Rückblick bewundert der Sohn sogar seine Mutter für ihre Konsequenz, dass sie aus diesem trostlosen Leben einfach „weggegangen" ist. Mit seiner Beschreibung trifft Peter Handke nicht nur das Wesen seiner Mutter, sondern das unausgesprochene Lebensgefühl vieler Menschen. Wir kennen im Deutschen den Ausdruck „wunschlos glücklich". Wenn einer ja sagen kann zu sich, so wie er ist, und zu seiner Lebenssituation, dann kann das durchaus eine Voraussetzung für inneres Glück sein. Aber nur der wird sich glücklich fühlen, der in sich einen inneren Reichtum findet, den Reichtum des Geistes. Wer keinen Wunsch hat, weil er ohne Hoffnung ist, dass sich je etwas ändert, der wird leicht innerlich hart. Manche werden unter solcher Hoffnungslosigkeit zynisch, andere depressiv. Wer so wird, ist wunschlos unglücklich. Er hat keinen Frieden geschlossen mit seinem Leben. Er ist unzufrieden. Aber ihm bleibt nicht einmal mehr der Ausweg in den Traum von einem erfüllten Leben. Auch die Träume sind ihm abhanden gekommen. Er hat nichts mehr, bei dem er sich lebendig fühlen könnte. Alles ist leer geworden. Zähe Monotonie bestimmt und beschwert sein Lebensgefühl. Er hat nichts mehr, was er gegen die öde Welt der Pflichten und der Routine setzen könnte. Es bleibt ihm nicht einmal mehr die Möglichkeit, sich eine Gegenwelt zu schaffen, die Welt der eigenen Phantasie. Ja nicht einmal mehr Illusionen stehen ihm zur Verfügung, um der Enge seiner Welt zu entfliehen. Selbst die Sehnsucht nach einer anderen Welt ist ihm abhanden gekommen. Das Leben mündet in „wunschloses Unglück".

    EIN TIEFERER GRUND

    Regelmäßig befragen die Meinungsforscher in unseren Gesellschaften die Menschen nach ihren Wünschen, um ihren tieferen Sehnsüchten auf die Spur zu kommen. Sehnsucht ist nichts Statisches, aber in aller Verschiedenheit doch etwas Konstantes. Die Umfragen dokumentieren tatsächlich, wie sich - mit anderen emotionalen Ausdrucksformen und Bedürfnislagen - auch die Sehnsüchte in den letzten Jahren verändert haben. Sie sind vom jeweiligen Zeitgefühl abhängig und haben je nach der politischen und gesellschaftlichen Situation eine andere Gestalt oder Zielrichtung: In einer Ze it apokalyptischer Kriegsgefahr sehnen sich die Menschen nach Frieden. Wer die Terrorakte im Fernsehen miterlebt, der sehnt sich nach Sicherheit und Schutz. In einer Zeit sich auflösender Identitäten spüren die Menschen ein tieferes Verlangen nach Heimat und Geborgenheit. In der Orientierungslosigkeit der pluralistischen Gesellschaft wächst die Sehnsucht nach Klarheit und Einfachheit. Auch der Fundamentalismus ist Ausdruck einer solchen in der menschlichen Seele tief verwurzelten Sehnsucht nach Sicherheit und Beständigkeit. Umgekehrt sehnen sich die Menschen, die in Diktaturen leben, nach Freiheit, Freizügigkeit und Weite. Ein amerikanischer Journalist erzählt, wie in den USA immer mehr Menschen sehr viel Zeit und Energie dazu verwenden, ihren Stammbaum zu erforschen. Auch hierzulande werden die Hobby-Ahnenforscher immer
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