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Buch Der Sehnsucht

Titel: Buch Der Sehnsucht
Autoren: Anselm Gruen
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er einmal, wie jener Bär, der in seinem sechs Meter langen Käfig hin- und hergeht. Als die Gitterstäbe nach mehreren Jahren entfernt werden, geht der Bär weiter diese sechs Meter hin und her, her und hin. So als ob der Käfig noch da wäre. Für ihn war er da. Seine Sehnsucht war durch die lange Gefangenschaft abgestorben. In anderen kurzen Erzählungen nimmt de Mello auch die Vorstellung von Sehnsucht auf den Arm. Er zeigt, wie klein sich die Sehnsucht nach dem Unendlichen manchmal gebärden kann:
    „Nach dreißig Jahren gemeinsamen Fernsehens sagt ein Mann zu seiner Frau:
    ,Lass uns heute Abend etwas wirklich Aufregendes unternehmen!'
    Sofort tauchen vor ihrem Auge Visionen von einer Nacht in der Stadt auf.
    , Phantastisch!' sagt sie. , Was wollen wir machen?'
    , Wir könnten einmal die Sessel tauschen.'"
    Für den Mann bestand die ganze Sehnsucht nach etwas Aufregendem darin, - den Sessel zu tauschen. Offensichtlich kannte er keine größeren Sehnsüchte, keinen weiter ausgreifenden Drang. Das dreißig Jahre lange Fernsehen hat ihn so genügsam gemacht in seiner Sehnsucht, dass wir darüber unwillkürlich lachen müssen. Aber stimmt es nicht wirklich? Auf welch kleines Maß hat sich heute die Sehnsucht vieler Menschen reduziert! Humor ergibt sich aus der Spannung zwischen Idealität und Realität. Seine Funken sprühen, wenn die Welt, so wie sie sein könnte, mit der Wirklichkeit zusammenprallt, wie sie nun einmal ist.
    Eine andere Geschichte de Mellos - ebenfalls mitten aus dem Leben erzählt. „Der Zigeuner", so nennt er sie: „In einer kleinen Grenzstadt lebte ein alter Mann schon fünfzig Jahre in dem gleichen Haus. Eines Tages zog er zum Erstaunen seiner Umgebung in das Nachbarhaus um. Reporter der Lokalzeitung sprachen bei ihm vor, um nach dem Grund zu fragen: ,Ich glaube, das ist der Zigeuner in mir', sagte er mit zufriedenem Lächeln." Das muss man nicht mehr kommentieren. Das „sitzt": So treffsicher hat de Mello unsere klein gewordene, durch unsere Selbstzufriedenheit geschrumpfte Sehnsucht beschrieben. Wir machen uns kleiner als wir sind. Viel kleiner.

    DER VERLORENE STERN

    Es gibt eine in der Nachkriegszeit viel gelesene Geschichte von Ernst Wiechert: „Der verlorene Stern". Sie erzählt von einem jungen deutschen Soldaten, der aus russischer Gefangenschaft nach Hause kommt, überglücklich, endlich daheim zu sein. Aber nach einigen Wochen spürt er, dass er sich nicht wirklich daheim fühlt. Er spricht mit seiner Großmutter darüber, und sie entdecken: Der Stern in diesem Haus ist verloren gegangen. Das Geheimnis wohnt nicht mehr in diesem Haus. Es wird nur noch an der Oberfläche gelebt. Man plant, baut, bessert aus, kümmert sich, dass das Leben funktioniert.
    Man unternimmt alles Mögliche und engt sein eigenes Leben dabei ein. Aber das Eigentliche ist verloren gegangen. Das Leben hat keine innere Ausrichtung und keine Weite mehr. Der Stern der Sehnsucht ist erloschen. Dort, wo der Stern der Sehnsucht aus unserem Herzen gefallen ist, dort können wir uns auch nicht mehr zu Hause fühlen. Daheim sein kann man nur, wo das Geheimnis wohnt. Es geht nicht um ein fernes Ziel. Nicht um eine Orientierung an etwas Fremdem oder um eine Leistung, die zu erbringen wäre und die uns vor anderen wichtig macht. In uns selbst ist dieser Raum, in dem das Geheimnis wohnt. Es ist ein Raum der Stille.
    Dieser Raum ist frei von den lärmenden Gedanken, die uns sonst bestimmen, frei von den Erwartungen und Wünschen der Menschen um uns herum. Er ist auch frei von den quälenden Selbstvorwürfen, Selbstentwertungen, Selbstbeschuldigungen. In diesem Raum, in dem Gott selbst in uns wohnt, sind wir frei von der Macht der Menschen. Da kann uns niemand verletzen. Dort sind wir heil und ganz. Dort sind wir ganz wir selbst. Und dort, wo das Geheimnis in uns wohnt, können wir bei uns selbst daheim sein. Wer bei sich selbst daheim ist, der kann überall Heimat erfahren. Heimat entsteht um ihn herum. Wenn wir in der Stille immer nur auf uns selbst stoßen, auf unsere Probleme, auf unsere Defizite, auf unsere Verdrängungen, auf die Komplexe unserer Psyche, müssen wir ja irgendwann davonlaufen. Niemand kann es aushaken, nur mit sich selbst konfrontiert zu sein. So ist es verständlich, dass manche vor der eigenen Wahrheit flüchten. Doch wenn ich weiß, dass unter all diesen Verdrängungen und Verwundungen Gott selbst in mir wohnt, dann kann ich es bei mir aushalten, dann erfahre ich in mir einen Raum, in
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