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Buch Der Sehnsucht

Titel: Buch Der Sehnsucht
Autoren: Anselm Gruen
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Sommermonaten meldet der Verkehrsfunk an den Wochenenden rege lmäßig kilometerlange Staus. Manchmal erreichen sie eine Länge von 60 Kilometern. Alle Welt scheint dem Alltag entfliehen zu wollen, um sich in südlicheren Gefilden zu erholen. Wonach sehnen sich die Massen, die der Tourismus jährlich in Bewegung setzt? Ist es nur die Erholung vom Alltag? Will man der Kälte entfliehen und die milde Sonne im Süden genießen? Oder möchte man sich in einem anderen Land auch anders fühlen als in der Enge der eigenen Alltagswelt? Es sind tief sitzende Sehnsüchte, die die Menschen zur Reise bewegen. Ernst Bloch spricht von der Lust des Reisens, die den Menschen lebendig hält und ihn immer neu antreibt: „Neu zu begehren, dazu verhilft die Lust der Reise." Die großen Epen der Menschheitsgeschichte erzählen davon. Die Fahrten des Jason und des Odysseus sind Teil unserer Kultur. Noch die Romantik war von der Sehnsucht nach dem fernen Ziel, nach Wandern und Reisen getrieben. In Gedichten und Romanen hat das zeitlose Gestalt gewonnen. Doch heute, da durch die Massenmedien die ganze Welt in unsere Wohnzimmer gelangt, da es im Zeitalter des Massentourismus kaum mehr unerreichbare Ziele gibt, hat sich diese Sehnsucht verschoben. Viele Touristen reisen in typische Touristenhochburgen, in denen sie wieder nur der eigenen Welt begegnen: dem heimischen Bier, den eigenen Essgewohnheiten und dem gewohnten Komfort mit deutschen Fernsehprogrammen. Auch wenn sie noch so weit weg fahren, sie sind unfähig, sich auf das Fremde und Unbekannte einzulassen. Sie suchen nicht das Fremde, sondern das Vertraute. Selbst beim exotischen „Abenteuerurlaub" simulieren sie das Abenteuer eigentlich nur. Andere dagegen machen sich heute immer noch auf den Weg, getrieben von Fernweh. Sie spüren etwas von der urmenschlichen, romantischen Sehnsucht nach dem Neuen und Unbekannten. Sie ahnen etwas davon, dass dort in der unbekannten Fremde etwas Neues in ihnen selbst aufbrechen könnte, dass sie sich selbst auf neue Weise erleben dürfen. Es ist die Sehnsucht nach dem Aufbrechen des Gewohnten, nach Verwandlung in eine neue Gestalt, nach Weite, nach neuen Möglichkeiten. Doch was machen die vielen Reisenden, wenn ihre Sehnsucht nach dem neuen Lebensgefühl im Urlaub nicht erfüllt wird? Wenn sich das Ehepaar ständig streitet, weil es unterschiedliche Erwartungen an den Urlaub hat? Wenn das Hotel nicht hält, was der Prospekt versprach? Ich erlebe zwei Reaktionen: Die einen kehren zurück in den Alltag, voller Enttäuschung und Groll. Sie haben sich nicht erholt. Ihr Versuch, der tristen Welt ihres Alltags zu entfliehen, ist missglückt. So suchen sie ihr wunschloses Unglück weiter im trostlosen Trott des Alltags. Die anderen versuchen, ihren Urlaub in den schönsten Farben zu schildern. Sie zeigen ihren Freunden Bilder oder Videofilme von ihrem Urlaub, um von anderen bewundert zu werden für das, was sie gewagt und erlebt haben. Sie müssen die Durchschnittlichkeit ihres Urlaubs überspielen, indem sie alles als etwas Besonderes und Außergewöhnliches darstellen. Das Faszinierende, das sie nie erlebt haben, versuchen sie, ihren Zuhörern zu vermitteln. Nicht immer gelingt es. Es gibt auch Enttäuschungen, wenn Menschen in ihren Vorstellungsräumen eingesperrt bleiben. Ich habe Soldaten getroffen, die in Bosnien stationiert waren. Sie wollten ihren Ehefrauen und ihren Freunden daheim ihre Abenteuer erzählen. Doch niemand interessierte sich dafür. Eine Studentin, die ein Jahr lang in Peru war, um dort ihr soziales Jahr in den Dienst behinderter Kinder zu stellen, machte die bittere Erfahrung, dass niemand sich für ihre oftmals auch schmerzlichen Erfahrungen interessierte. In einer Welt, in der man sich nicht mehr verunsichern und herausfordern lassen möchte, auch nicht durch die Erfahrungen anderer, in einer Welt, in der nur noch interessiert, wie das Wetter ist und was man gerade zu einem günstigen Preis neu erworben hat, da wächst nicht die Lust am Neuen und am Anderen. Da wachsen die Einsamkeit und die Langeweile. Da erreichen wir das Ziel unserer Sehnsucht nie.

    KINDERSEHNSÜCHTE

    Sehnsucht nach der Kindheit - das sollte man nicht nur negativ sehen. „Das Syndrom starker Persönlichkeiten ist, dass sie die Sehnsüchte ihres kleinen Kindes, das in ihnen steckt, nicht zulassen." Was die kanadische Publizistin Lise Bourbeau konstatiert, wird von der Psychologie und der normalen Lebenserfahrung bestätigt: Starke
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