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Buch Der Sehnsucht

Titel: Buch Der Sehnsucht
Autoren: Anselm Gruen
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„Spiritus contra spiritum" - „Geist gegen Weingeist", sagt der Tiefenpsychologe C. G. Jung. Nur die Offenheit für den Geist kann die Abhängigkeit überwinden. C. G. Jung schrieb über einen Patienten: „Seine Sucht nach Alkohol entspricht auf einer niedrigen Stufe dem geistigen Durst des Menschen nach Ganzheit, in mittelalterlicher Sprache: nach der Vereinigung mit Gott." Und eine Frau, die selbst Alkoholikerin wurde, schrieb von ihrer Sehnsucht, die sie im Alkohol vergeblich zu erfüllen suchte: „So weit ich auf meine Kindheit zurückblicken kann, war ich immer auf der Suche nach etwas, das ich nicht benennen konnte. Was auch immer es sein mochte, es würde dafür sorgen, dass ich mich gut fühlte, dass ich zu Hause wäre, so, als ob ich dazugehörte. Wenn ich es finden würde, wäre ich nicht länger einsam. Ich würde wissen, wie es ist, geliebt und angenommen zu sein, und ich würde meinerseits auch Liebe geben können. Ich würde glücklich, erfüllt und in Frieden mit mir selbst, meinem Leben und der Welt sein. Ich würde mich frei, unbehindert, offen und voller Freude fühlen." Ihre Suche war letztlich eine spirituelle Suche. Aber sie hat ihre Sehnsucht zu schnell im Alkohol ertränkt. Nachdem sie von ihrer Krankheit genesen war, erkannte sie, dass ihr frei schwebendes Sehnen letztlich ein tiefes Dürsten nach Ganzheit war. Wir werden unsere Sucht nur überwinden, wenn wir sie wieder in Sehnsucht verwandeln.

    KLEINE FLUCHTEN

    „Nichts wie weg!" - das ist eine heute durchaus verbreitete Haltung. Der amerikanische Schriftsteller Thornton Wilder trifft mit seinem Bonmot ins Schwarze: „Man spricht immer nur von Leuten, die in Häuser einbrechen wollen. Aber es gibt mehr Leute auf der Welt, die aus Häusern ausbrechen wollen." Das trifft offensichtlich die seelische Verfassung vieler Menschen, die heute unter der Enge ihres Alltags leiden und von dem panischen Gefühl ergriffen werden: „Nichts wie weg!" Sie wollen weg aus verkrusteten Verhältnissen, ausbrechen aus der Ehe, die sich totgelaufen hat. Sie sehnen sich danach, den vielen Pflichten zu entkommen, die nie weniger, sondern immer mehr werden und sich wie eine schwere Last auf sie legen. Man sollte das durchaus ernst nehmen: Da ist die allein erziehende Mutter, die sich kaum einmal frei nehmen kann, um eigene Bedürfnisse zu erfüllen. Da ist die Tochter, die ohne Anerkennung von außen ihre kranke Mutter pflegt. Da ist der Rechtsanwalt, der sich vornimmt, weniger zu arbeiten, den aber die äußeren Verhältnisse immer mehr in ein System von Überforderung pressen. Sie alle sehnen sich danach, ihrer Verantwortung zu entfliehen - auch wenn sie es letztlich nicht tun. Doch was machen Menschen mit einer Sehnsucht, die sie nicht leben können? Ist eine Sehnsucht, die nicht erfüllt werden kann, nicht frustrierend? Immerhin kann man es auch so betrachten: Ihre Sehnsucht, die sie nicht verdrängen, sondern zulassen, entlastet sie auch. Man sollte sie als ehrlichen Ausdruck ihrer Befindlichkeit sehen: In der Sehnsucht klingt immerhin die Hoffnung an, irgendwann einmal doch ausbrechen zu können. Zumindest wächst die Phantasie, wie man kleine Ausbruchsversuche wagen könnte.

    FERNWEH

    Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit ist eine tief verwurzelte Emotion. Es gibt aber auch das entgegengesetzte Gefühl. Es zielt auf das Neue, das Abenteuer. Die zahllosen Reisenden, die sich jedes Jahr auf den Weg in ferne Länder machen, sind im Grunde von einem tiefen Fernweh getrieben. Dieses Fernweh ist die Sehnsucht nach dem ganz Anderen, das sie erleben möchten. Sie möchten aussteigen aus dem gewohnten Trott. Sie möchten in der Ferne das unverfälschte Leben in seiner Ursprünglichkeit spüren. Sie machen sich auf den Weg, auf überfüllten Autobahnen, in Flugzeugen, und suchen das Paradies in weiten Fernen und exotischen Ländern. Ein kluger Mensch hat festgestellt: Fernweh und Heimweh liegen oft eng zusammen: „Fernweh erledigt sich nicht damit, dass man ein Schiff besteigt; oft ist es sogar nichts anderes als eine Form von Heimweh - die Sehnsucht nach dem Unbekannten oder noch nicht Entdeckten in uns selbst" (John Cheever). Viele suchen in der Ferne die Heimat, die sie dort, wo sie wohnen, verloren haben. Doch letztlich sind sie auf der Reise nach sich selbst. In der Ferne suchen sie das, was eigentlich so nahe ist: das Geheimnis ihres eigenen Herzens, den inneren Raum, in dem sie wahrhaft zu Hause sein dürfen.

    AUSBRUCHSVERSUCHE

    In den
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