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Brunetti 18 - Schöner Schein

Brunetti 18 - Schöner Schein

Titel: Brunetti 18 - Schöner Schein
Autoren: Donna Leon
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geworden.
    »Und weiter?«, fragte Brunetti.
    »Um die Ehre meines Mannes zu schützen...«, fing sie zögernd an, und als sie seine Reaktion sah, erklärte sie fest: »Ja, Commissario, seine Ehre, und damit er weiterhin glauben konnte, dass ich ihn achte und liebe - und das tue ich, damals wie heute und in alle Zukunft -, blieb mir nur eine Möglichkeit.« Sie nahm die Hände von der warmen Kanne und legte sie gefaltet auf den Tisch.
    »Verstehe«, sagte Brunetti.
    Sie nahm einen großen Schluck Tee, durstig, ohne sich mit Honig aufzuhalten. »Finden Sie das ungewöhnlich?«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ›ungewöhnlich‹ der richtige Ausdruck ist, Signora«, sagte Brunetti ausweichend.
    »Ich würde alles tun, um die Ehre meines Mannes zu schützen, Commissario, selbst wenn er diese Leute tatsächlich dazu aufgefordert hätte«, sagte sie so heftig, dass zwei Frauen an einem Tisch neben der Tür sich nach ihnen umdrehten.
    »In Australien war Maurizio die ganze Zeit bei mir. Er war den ganzen Tag im Krankenhaus, jeden Tag, und dann in meinem Zimmer, als man ihn reingelassen hat. Er hat seine Geschäfte sich selbst überlassen und sich nur noch um mich gekümmert. Sein Sohn rief an und sagte, er müsse zurückkommen, aber er ist bei mir geblieben. Er hat meine Hand gehalten und mich gewaschen, wenn ich mich übergeben musste.« Sie sprach leise, voller Leidenschaft.
    »Und als alles vorbei war, nach all diesen Operationen, hat er mich immer noch geliebt.« Ihr Blick schweifte ins Leere, zu den Antipoden. »Als ich mich das erste Mal gesehen habe... ich musste dazu ins Bad gehen, weil in meinem Krankenhauszimmer kein Spiegel war: Maurizio hatte sie alle entfernen lassen, und am Anfang, nachdem die Verbände abgenommen worden waren, fiel mir das nicht auf. Aber dann fiel es mir auf, und ich fragte, warum in meinem Zimmer keine Spiegel seien.«
    Sie lachte, leise und melodisch; es klang entzückend. »Und er antwortete, das sei ihm noch gar nicht aufgefallen, vielleicht gebe es in australischen Krankenhauszimmern grundsätzlich keine Spiegel. Am Abend, nachdem er sich verabschiedet hatte, bin ich den Flur hinunter ins Bad gegangen. Und habe das hier gesehen«, sagte sie und wies mit einer Hand auf ihr Kinn.
    Sie stützte einen Ellbogen auf den Tisch, presste drei Finger auf ihren Mund und starrte in jenen fernen Spiegel. »Es war entsetzlich. Dieses Gesicht zu sehen, das nicht mehr lächeln konnte, nicht mehr die Stirn runzeln konnte, gar nichts mehr konnte.« Sie nahm die Finger weg. »Und dazu kam in der ersten Zeit der Schock darüber, wie die Leute mich ansahen. Sie konnten nicht anders: Sobald sie das hier erblickten, trat dumpfes Entsetzen in ihre Mienen und gleich darauf sittliche Entrüstung, auch wenn sie sich alle Mühe gaben, das zu verbergen. ›La Superliftata‹«, sagte sie, und er vernahm den Zorn in ihrer Stimme. »Ich weiß, wie die Leute mich nennen.«
    Brunetti dachte, sie sei fertig, aber er täuschte sich. »Am nächsten Tag erzählte ich Maurizio, was ich im Spiegel gesehen hatte, und er sagte, für ihn spiele das keine Rolle. Ich erinnere mich noch, wie er mit einer wegwerfenden Handbewegung ›sciocchezze‹ sagte, als sei mein Gesicht das am wenigsten Wichtige an mir.«
    Sie schob die Tasse von sich fort. »Und ich glaube ihm, er hat das wirklich so gemeint und meint es immer noch so. Für ihn bin ich immer noch die junge Frau, die er geheiratet hat.«
    »Und in diesen letzten zwei Jahren?«, fragte Brunetti. »Wie meinen Sie das?«, fragte sie aufgebracht. »Hat er nie Verdacht geschöpft?«
    »Was? Dass Antonio mein - wie soll ich ihn nennen? - mein Liebhaber war?«
    »Nun ja«, sagte Brunetti. »Hatte er einen Verdacht?«
    »Ich hoffe nicht«, sagte sie hastig. »Aber ich weiß nicht, was er weiß oder ob er sich erlaubt, darüber nachzudenken. Er wusste, dass ich gelegentlich mit Antonio zusammen war, und ich nehme an... er hatte Angst, Fragen zu stellen. Und hätte ich ihm das etwa beichten sollen?« Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Das entspricht doch genau dem Klischee: der alte Mann mit der jungen Frau. Natürlich nimmt sie sich einen Liebhaber.«
    »›Die schlichte Wahrheit unterdrücken wir‹«, sagte Brunetti zu seiner eigenen Überraschung.
    »Was?«, fragte sie.
    »Entschuldigen Sie, das sagt meine Frau immer«, antwortete Brunetti ohne weitere Erklärung; er wusste selbst nicht, wie er jetzt darauf gekommen war.
    »Könnten Sie mir von
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