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Brunetti 18 - Schöner Schein

Brunetti 18 - Schöner Schein

Titel: Brunetti 18 - Schöner Schein
Autoren: Donna Leon
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hingezogen hat und auch wenn ihr Beweggrund dafür war, die Gefühle ihres Mannes zu schützen.« Als sie seine unverändert ratlose Miene sah, sagte sie in sehr viel freundlicherem Ton: »Du bist doch ein Diener des Gesetzes in diesem Land, Guido, und du weißt ganz genau, was passiert wäre, wenn sie zur Polizei gegangen und die Sache vor Gericht gekommen wäre. Was der alte Mann und sie dann hätten erleben müssen.«
    Sie unterbrach sich und sah ihn fragend an, aber er zog es vor, weder zu antworten noch irgendwelche Einwände zu machen.
    »Unsere Kultur hat sehr primitive Vorstellungen von Sex«, sagte sie.
    Um die Stimmung aufzulockern, sagte Brunetti: »Ich finde, unsere Gesellschaft hat sehr primitive Vorstellungen von allen möglichen Dingen.« Kaum hatte er das ausgesprochen, merkte er, wie ernst er das meinte, und seine Laune verschlechterte sich nur noch mehr.
    Das war auch der Moment, wo es Paola entfuhr: »Also ich würde ihr einen Orden verleihen.«
    Brunetti hob seufzend die Schultern und löschte das Licht.
    Erst jetzt bemerkte er, dass sie seinen Arm die ganze Zeit nicht losgelassen hatte. »Was wirst du tun?«, fragte sie. »Schlafen«, sagte er.
    »Und morgen früh?«, fragte sie und machte ihr Licht aus. »Rede ich mit Patta.« »Was wirst du ihm sagen?«
    Brunetti drehte sich auf die rechte Seite, musste dazu allerdings seinen Arm ihrer Hand entziehen. Er richtete sich auf, klopfte sein Kopfkissen zurecht und schob sich an sie heran, so dass er seine linke Hand auf die Innenseite ihres Arms legen konnte. »Ich weiß es nicht.« »Wirklich?«
    »Wirklich«, sagte er, und dann schliefen sie ein.
    Die Zeitungen fielen über das Ereignis her, traten es breit und schlachteten es auf jede erdenkliche Weise aus, denn hier kam alles zusammen, was das Publikum liebte: reiche Leute, bei einem offenkundigen Fehlverhalten ertappt; die jüngere Ehefrau mit dem Geliebten erwischt; Gewalt, Sex und Tod. Auf dem Weg zur Questura begleitete Brunetti das Foto der jungen Franca Marinello; und er sah noch etliche andere Fotos von ihr und fragte sich, wie es möglich war, dass die Presse so schnell so viele davon hatte auftreiben können. Hatten ihre Kommilitoninnen sie verkauft? Ihre Familie? Freunde? In seinem Büro angekommen, schlug er die Zeitungen auf und machte sich daran, jeden einzelnen dieser Artikel zu lesen.
    Darin waren noch mehr Fotos von ihr, aufgenommen bei verschiedenen gesellschaftlichen Anlässen in den letzten Jahren, und überall wurde spekuliert, was eine attraktive junge Frau dazu getrieben haben könnte, »ihr natürliches Aussehen« - man enthielt sich gerade noch des Ausdrucks »dieses Geschenk Gottes« - derart zu verunstalten, wie sie es getan hatte. Es gab Interviews mit Psychologen: Einer erklärte, sie verkörpere die konsumorientierte Gesellschaft, in der die Leute nie zufrieden seien mit dem, was sie erreicht hätten, und stets nach neuen symbolischen Erfolgen suchten, die allein der Selbstbestätigung dienten; eine Psychologin im Osservatore Romano hielt dies für ein trauriges Beispiel, wie Frauen dazu getrieben würden, vor keinem Mittel zurückzuschrecken, um im Wettbewerb um die Anerkennung der Männer jünger oder attraktiver zu erscheinen. Manchmal, führte die Psychologin mit kaum verhohlener Schadenfreude aus, gingen diese Versuche schief, dennoch würden solche Katastrophen andere Frauen nur selten davon abhalten, weiterhin dem flüchtigen Ideal von körperlicher Schönheit hinterherzulaufen.
    Ein anderer machte sich Gedanken über Franca Marinellos Beziehung zu Terrasini, dessen kriminelle Vergangenheit ausführlich geschildert wurde. Einige namentlich nicht genannte Leute behaupteten, die beiden seien ein bekanntes Paar gewesen und oft in den besten Restaurants der Stadt und im Casinó gesichtet worden.
    Cataldo erschien in der Rolle des betrogenen Ehemanns. Der Unternehmer und ehemalige Stadtrat, der bei seinen Kaufmannskollegen im Veneto hohes Ansehen genieße, habe sich nach fünfunddreißig Jahren Ehe von seiner ersten Frau scheiden lassen, um Franca Marinello zu heiraten, eine Frau, die über dreißig Jahre jünger sei als er. Weder er noch Marinello hätten sich bisher zu dem Fall geäußert, und es gebe auch noch keinen Haftbefehl. Die Polizei sei immer noch mit der Vernehmung von Zeugen beschäftigt und warte auf die Ergebnisse der Autopsie.
    Brunetti, einer der Zeugen des Verbrechens, war noch nicht vernommen worden, auch Griffoni und Vasco nicht, wie er durch
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