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Brunetti 18 - Schöner Schein

Brunetti 18 - Schöner Schein

Titel: Brunetti 18 - Schöner Schein
Autoren: Donna Leon
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zu ausweichend. Er hat eine Firma angeheuert, von deren Betreibern er wusste, dass sie Kriminelle waren; aber es war nicht illegal, was er getan hat.«
    Sie nippte an ihrem Tee, tat noch mehr Honig hinein und rührte um. »Später erfuhr ich«, sagte sie, und Brunetti registrierte, dass sie darüber hinwegging, wie sie erfahren hatte, was sie ihm zu erzählen gedachte, »dass es beim Essen passiert war. Er war mit den wichtigsten dieser Männer ausgegangen: Sie feierten den Vertragsabschluss oder die Abmachung oder wie sie das nannten. Da ich nicht mitgehen wollte, hatte Maurizio ihnen erzählt, ich sei krank.
    Er wollte sie nicht beleidigen, und etwas Besseres fiel ihm nicht ein. Aber sie durchschauten das, und sie waren beleidigt.«
    Sie sah ihn an und sagte: »Sie haben mehr Erfahrung als ich, nehme ich an, also wissen Sie, wie wichtig es solchen Leuten ist, respektiert zu werden.« Brunetti nickte. »Und da muss es angefangen haben: als Maurizio mich nicht mitgebracht hat, um mich ihnen vorzustellen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Das spielt wohl keine Rolle, nehme ich an. Aber man möchte doch gern alles verstehen.«
    Plötzlich sagte sie: »Trinken Sie Ihren Tee, Commissario. Nicht dass er kalt wird.« Also Commissario, dachte Brunetti. Er gehorchte und nahm einen Schluck: Der Geschmack versetzte ihn in seine Kindheit, wenn er mit Erkältung oder Grippe das Bett gehütet hatte.
    »Als er ihnen erzählte, ich sei krank«, fuhr sie fort, »fragte ihn der Mann, der ihn eingeladen hatte, was ich denn hätte - ich war an diesem Tag mal wieder beim Zahnarzt gewesen.« Sie sah ihn fragend an, ob er die Bedeutung dieser Aussage verstand. Er nickte. »Das gehörte alles zu dieser anderen Geschichte.«
    Sie nahm noch einen Schluck. »Und weil Maurizio ihre Verärgerung spürte, hat er ihnen mehr erzählt als nötig; jedenfalls genug, dass sie verstanden, was passiert war. Es muss Antonio gewesen sein, der danach gefragt hat.« Sie sah ihn an und sagte mit tödlicher Kälte: »Antonio konnte sehr charmant und mitfühlend sein.«
    Brunetti sagte nichts.
    »Also erzählte Maurizio ihnen wenigstens teilweise, was passiert war. Und dann sagte er etwas ...« Sie unterbrach sich und fragte ihn: »Kennen Sie das Theaterstück über Thomas Becket und Heinrich den...?« »Zweiten«, sagte Brunetti.
    »Dann erinnern Sie sich an die Stelle, wo der König seine Ritter fragt, ob niemand ihm diesen lästigen Priester vom Hals schaffen kann oder so ähnlich?«
    »Ja, ich erinnere mich.« Der Historiker in ihm wollte hinzufügen, dass die Anekdote wahrscheinlich erfunden sei, aber das war wohl nicht der richtige Augenblick.
    Sie starrte in ihre Tasse und verblüffte ihn mit der Bemerkung: »Die Römer waren sehr viel direkter.« Dann nahm sie, ohne weiter auf die Römer einzugehen, den Faden wieder auf: »So war es, denke ich. Maurizio hat ihnen erzählt, was passiert ist, von dem falschen Zahnarzt und was der getan hatte und dass er im Gefängnis war, und vielleicht hat er auch noch was davon gesagt, dass es in diesem Land keine Gerechtigkeit gibt.« Brunetti hatte den Eindruck, sie sage etwas auf, das sie auswendig gelernt oder - zumindest zu sich selbst - schon oft gesagt hatte. Sie sah ihn an und fügte hinzu: »So was sagen die Leute doch ständig, oder?«
    Sie sah in ihre Tasse, hob sie hoch, trank aber nicht. »Ich vermute, mehr hat Antonio nicht gebraucht. Einen Grund, jemandem weh zu tun. Oder Schlimmeres.« Es klapperte leise, als sie die Tasse wieder hinstellte.
    »Hat er irgendetwas zu Ihrem Mann gesagt?«
    »Nein, nichts. Und ich bin mir sicher, dass Maurizio die Sache damit für erledigt hielt.«
    »Er hat Ihnen nichts von diesem Gespräch erzählt?«, fragte Brunetti, und als sie ihn verwirrt ansah, erklärte er: » Ihr Mann. «
    Sie sah ihn fassungslos an. »Nein, natürlich nicht. Er weiß nicht, dass ich davon weiß.« Dann, wesentlich bedachtsamer: »Das ist es ja gerade.«
    »Verstehe.« Etwas anderes fiel Brunetti nicht dazu ein, auch wenn er in Wirklichkeit immer weniger verstand.
    »Einige Monate später wurde der Zahnarzt getötet. Maurizio und ich waren zu der Zeit in Amerika und erfuhren erst nach unserer Rückkehr davon. Polizisten aus Dolo kamen zu uns ins Haus und stellten Fragen, aber als Maurizio ihnen sagte, dass wir in Amerika waren, ließen sie uns in Ruhe.« Brunetti dachte, sie sei fertig, aber dann sagte sie noch mit ganz anderer Stimme: »Und seine Frau.«
    Sie schloss die Augen und schwieg lange.
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