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Brunetti 18 - Schöner Schein

Brunetti 18 - Schöner Schein

Titel: Brunetti 18 - Schöner Schein
Autoren: Donna Leon
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einen getötet hat und dass die anderen alle überlebt haben. Er wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Sechs Jahre. Aber der Prozess hatte sich schon zwei Jahre hingezogen - und in der Zeit war er natürlich zu Hause -, also hätte er noch vier Jahre absitzen sollen, wurde dann aber vorzeitig aus der Haft entlassen.«
    »Und wie ging es weiter?« »Anscheinend hat er wieder gearbeitet«, sagte sie mit einer Verbitterung, die er selten an ihr wahrgenommen hatte. »Gearbeitet?«
    »Als Zahntechniker, nicht als Zahnarzt.« Er schloss die Augen vor diesem Irrsinn. In welchem anderen Land war so etwas möglich?
    »Aber er hatte nicht mehr viel Gelegenheit, anderen zu schaden«, sagte sie trocken. »Warum?«
    »Jemand hat ihn umgebracht. In Montebelluna - dort hatte er seine neue Praxis eröffnet. Ein Einbrecher hat ihn getötet und seine Frau vergewaltigt.«
    Brunetti erinnerte sich an den Fall. Im Sommer vor zwei Jahren, ein Einbruch, ein Mord, der nie aufgeklärt worden war.
    »Er wurde erschossen?«, fragte er. »Ja.«
    »Hast du mit ihr darüber gesprochen?«
    Sie sah ihn mit großen Augen an. »Wozu? Um sie zu fragen, ob sie sich jetzt besser fühlt, wo er tot ist?« Als sie sah, wie verblüfft er auf ihren Ausbruch reagierte, erklärte sie in ruhigerem Ton: »Ich habe in der Zeitung davon gelesen und seinen Namen erkannt, wollte aber nicht mit ihr darüber sprechen.«
    »Hast du überhaupt jemals mit ihr über ihn gesprochen?«
    »Einmal, kurz nach dem Urteilsspruch. Aber das ist viele Jahre her.«
    »Was hast du damals gesagt?«
    »Ich habe sie gefragt, ob sie gelesen habe, dass er verurteilt worden sei und ins Gefängnis müsse, und sie hat geantwortet, ja, das habe sie.«
    »Und?«
    »Und ich habe sie gefragt, was sie davon halte.« Ohne auf Brunetti zu warten, fuhr sie fort: »Sie sagte, das ändere nun auch nichts mehr. Weder für sie noch für die anderen Leute, denen er geschadet habe. Und ganz gewiss nicht für den Mann, den er getötet habe.«
    Brunetti ließ sich das durch den Kopf gehen und fragte schließlich: »Meinst du, sie wollte damit sagen, sie habe ihm verziehen?«
    Sie sah ihn an, lange und nachdenklich. »Möglich, dass sie das gemeint hat«, sagte sie. Und dann kalt: »Aber ich will es nicht hoffen.«

28
    K urz darauf trat Brunetti aus dem Palazzo auf die calle hinaus und rief Griffoni an, die ihm mitteilte, Signora Marinello habe die Questura bereits in Begleitung ihres Anwalts verlassen. Die Akten, sagte sie, lägen unten, aber sie werde ihn gleich zurückrufen und ihm Marinellos Nummer durchgeben. Während er darauf wartete, ging er zur Anlegestelle Ca' Rezzonico, von wo aus Vaporetti in beide Richtungen fuhren.
    Noch bevor er den imbarcadero erreicht hatte, gab Griffoni ihm die Handynummer durch. Brunetti erklärte, er wolle mit Marinello über den gestrigen Abend sprechen, und Griffoni fragte: »Warum hat sie ihn erschossen?«
    »Sie waren selbst dabei«, sagte Brunetti. »Sie haben gesehen, dass er sie schlagen wollte.«
    »Ja, das habe ich gesehen«, erwiderte sie. »Aber ich meinte etwas anderes: Ich dachte an den dritten Schuss. Er lag am Boden, von zwei Kugeln getroffen, Herrgott, und sie hat noch einmal auf ihn geschossen. Das verstehe ich nicht.«
    Brunetti glaubte es zu verstehen, aber das sagte er nicht. »Deswegen möchte ich mit ihr reden.« Er rief sich die Szene noch einmal in Erinnerung: Griffoni hatte am Geländer gestanden, als Brunetti sie angesehen hatte, also musste sie die Leute unten auf dem Treppenabsatz aus einem anderen Winkel gesehen haben als er.
    »Was genau haben Sie beobachtet?«, fragte er.
    »Er hat die Pistole gezogen, dann hat er sie ihr gegeben, dann hat er ausgeholt, um sie zu schlagen.« »Konnten Sie etwas hören?«
    »Nein, ich war zu weit weg, außerdem kamen diese beiden anderen die Treppe hoch auf uns zu. Ich habe nicht bemerkt, dass er etwas gesagt hat, und sie stand von mir abgewandt. Haben Sie etwas gehört?«
    Hatte er nicht. »Nein. Aber es muss einen Grund dafür geben, dass er getan hat, was er getan hat.«
    »Und warum sie getan hat, was sie getan hat, würde ich sagen.« »Ja, natürlich.« Er dankte ihr für die Telefonnummer und legte auf.
    Franca Marinello nahm beim zweiten Klingeln ab und schien überrascht, Brunetti am Apparat zu haben. »Heißt das, ich muss in die Questura zurück?«, fragte sie.
    »Nein, Signora, keineswegs. Aber ich würde Sie gern besuchen und mit Ihnen reden.«
    »Verstehe.«
    Nach einer langen Pause sagte
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