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Brunetti 18 - Schöner Schein

Brunetti 18 - Schöner Schein

Titel: Brunetti 18 - Schöner Schein
Autoren: Donna Leon
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gestern Abend erzählen?«, fragte er.
    »Da gibt es nicht viel zu erzählen.« Ihre Stimme war plötzlich wieder sehr müde. »Er wollte sich dort mit mir treffen, und ich war gewohnt, ihm zu gehorchen. Also ging ich hin.«
    »Und Ihr Mann?«
    »Er hat sich genauso daran gewöhnt wie ich, nehme ich an«, sagte sie. »Ich habe gesagt, dass ich ausgehen möchte, und er hat nicht nachgefragt.«
    »Aber Sie sind doch erst am Morgen nach Hause gekommen?«, fragte Brunetti.
    »Ich fürchte, auch daran hat Maurizio sich längst gewöhnt«, sagte sie düster.
    »Aha.« Mehr fiel Brunetti nicht dazu ein. Er fragte: »Was ist passiert?«
    Sie stützte beide Ellbogen auf den Tisch und legte ihr Kinn in die gefalteten Hände.
    »Warum sollte ich Ihnen das erzählen, Commissario?«
    »Weil Sie es früher oder später ohnehin jemandem erzählen müssen, und ich bin eine gute Wahl«, sagte er und meinte das durchaus ernst.
    Ihr Blick wurde sanfter. »Ich wusste, dass jemand, der Cicero mag, ein guter Mensch sein muss.«
    »Das bin ich nicht«, sagte er, und auch das meinte er ernst. »Aber ich bin neugierig, und wenn ich kann, möchte ich Ihnen helfen - soweit die Gesetze es zulassen.«
    »Hat Cicero nicht sein ganzes Leben mit Lügen verbracht?«, fragte sie.
    Um ein Haar hätte Brunetti beleidigt reagiert, dann aber erkannte er, dass sie das als Frage und nicht als Vergleich gemeint hatte. »Sie reden von den Prozessen?« »Ja. Er hat Zeugenaussagen verdreht, Zeugen bestochen, wann immer das möglich war, die Wahrheit verzerrt und wahrscheinlich so ziemlich jeden billigen Trick angewendet, den Anwälte jemals angewendet haben.« Sie schien mit ihrer Aufzählung zufrieden.
    »Aber nicht in seinem Privatleben«, sagte Brunetti. »Mag sein, dass er eitel und schwach war, aber am Ende war er ein aufrichtiger Mensch, denke ich. Und ein mutiger.«
    Sie sah ihm ins Gesicht, während sie darüber nachdachte. »Als Erstes habe ich Antonio gesagt, dass Sie Polizist sind und ihn festnehmen wollen«, sagte sie. »Er trug immer eine Pistole bei sich. Ich kannte ihn inzwischen gut genug, um zu wissen ... « Sie verstummte und schien ihren Worten nachzuhorchen, »dass er nicht zögern würde, sie zu benutzen. Aber dann hat er Sie gesehen - vermutlich Sie beide, mit gezogenen Pistolen -, und ich habe ihm gesagt, es sei sinnlos, er solle sich lieber auf die Anwälte seiner Familie verlassen, die würden ihn schon herausholen.«
    Sie presste die Lippen zusammen, und Brunetti fiel auf, wie überaus unattraktiv das aussah. »Entweder hat er mir geglaubt, oder er war so durcheinander, dass er nicht mehr weiterwusste. Jedenfalls hat er mir die Pistole gegeben, als ich ihn dazu aufforderte.«
    Die Eingangstür schlug gegen die Wand, und sie beide sahen dorthin, aber es war nur eine Frau mit Kinderwagen, die hinauswollte. Eine der Frauen am Tisch neben der Tür stand auf und half ihr.
    Brunetti sah sie wieder an. »Was haben Sie dann zu ihm gesagt?«, fragte er.
    »Ich sagte bereits, dass ich ihn inzwischen gut genug kannte, oder?«
    »Ja.«
    »Also habe ich ihm gesagt, dass ich ihn für schwul halte, er führe sich im Bett wie eine Schwuchtel auf, und wahrscheinlich wolle er mich nur haben, weil ich nicht wie eine richtige Frau aussehe.«
    Sie wartete auf seine Reaktion, und als keine kam, sagte sie: »Das stimmte natürlich nicht. Aber ich kannte ihn, und ich wusste, was er tun würde.« Wieder änderte sich ihre Stimme, aus der schon lange jede Emotion verschwunden war, und mit geradezu akademischer Distanziertheit sagte sie: »Antonio reagierte auf Widerspruch immer gleich: mit Gewalt. Ich wusste, was er tun würde. Und da habe ich auf ihn geschossen.« Sie schwieg, aber als Brunetti auch jetzt noch nichts sagte, sprach sie weiter: »Und als er am Boden lag und ich den Eindruck hatte, er sei noch nicht tot, schoss ich ihm ins Gesicht.« Ihr eigenes Gesicht blieb vollkommen unbewegt, als sie das sagte.
    »Verstehe«, sagte Brunetti schließlich.
    »Und ich würde es wieder tun, Commissario. Ich würde es wieder tun.« Er wollte schon fragen, warum, ließ es aber, da sie sich offenbar mit ihren Erklärungen im Kreis herumdrehte. »Wie gesagt: Er hatte unerfreuliche Vorlieben.«
    Und das war das Letzte, was sie sagte.

29
    »Also ich«, sagte Paola, »würde ihr einen Orden verleihen.« Brunetti war kurz nach dem Abendessen zu Bett gegangen, er sei müde, hatte er gesagt, sonst nichts. Paola hatte sich einige Stunden später schlafen gelegt, wurde
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