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Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
Autoren: Donna Leon
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eines Teenagers: Sollte er die Presse alarmieren? Noch mehr allerdings wunderte er sich über Paolas Beteuerung, daß Chiara ihre Entschuldigung ganz uneigennützig und ohne nach irgendeiner Gegenleistung zu schielen, vorgebracht habe. Chiara war bestimmt klug genug, um zu wissen, wie gut ein solcher Trick funktioniert hätte, aber Brunetti zog es vor, seiner Frau zu glauben, die ihm versicherte, für so was sei ihre Tochter schlicht zu aufrichtig.
    War das die größte Illusion, überlegte er, der Glaube an die Aufrichtigkeit unserer Kinder? Die Frage entglitt ihm unbeantwortet, und er schlief langsam ein.
    Das Telefon schrillte.
    Es klingelte fünfmal, ehe Brunetti sich mit der dumpfen Stimme eines Betäubten oder Übertölpelten meldete. »Sì?« brummte er, während seine Gedanken wie der Blitz den Flur hinunter jagten. Doch die Erinnerung daran, daß er beiden Kindern gute Nacht gesagt hatte, als sie zu Bett gegangen waren, beruhigte ihn sofort wieder.
    »Ich bin's, Vianello«, sagte die vertraute Stimme am anderen Ende. »Ich bin im Ospedale Civile. Wir haben ein Problem am Hals.«
    Brunetti setzte sich auf und machte Licht. Nicht nur Vianellos Nachricht, sondern auch sein eindringlicher Ton sagte ihm, daß er wohl keine andere Wahl hatte, als dem Inspektor ins Krankenhaus zu folgen. »Was für ein Problem?«
    »Einer der Mediziner hier, ein Kinderarzt, liegt in der Notaufnahme, und seine Kollegen befürchten eine Hirnschädigung.« Auch in weniger benommenem Zustand hätte Brunetti sich darauf keinen Reim machen können, aber da er wußte, daß Vianello rasch auf den Punkt kommen würde, fragte er nicht nach.
    »Er wurde in seiner Wohnung überfallen«, fuhr der Inspektor fort. Dann, nach längerer Pause, setzte er hinzu: »Von der Polizei.«
    »Von uns?« fragte Brunetti verblüfft.
    »Nein, von den Carabinieri. Sie sind bei ihm eingedrungen und wollten ihn festnehmen. Der verantwortliche Hauptmann sagt, der Arzt hätte einen seiner Männer angegriffen«, erklärte Vianello. Brunetti kniff die Augen zusammen, während der Inspektor ergänzte: »Aber es ist ja klar, daß er sich auf so was rausredet, nicht wahr?«
    »Zu wie vielen waren sie denn?« wollte Brunetti wissen.
    »Zu fünft«, antwortete Vianello. »Drei im Haus und zwei draußen als Verstärkung.«
    Brunetti stieg aus dem Bett. »Ich bin in zwanzig Minuten da.« Dann fragte er: »Weißt du, warum die Carabinieri dort waren?«
    Vianellos Antwort kam zögernd. »Sie wollten seinen Sohn rausholen. Ein Baby von achtzehn Monaten, adoptiert. Laut den Carabinieri illegal.«
    »In zwanzig Minuten«, wiederholte Brunetti und legte auf.
    Erst als er aus dem Haus trat, vergewisserte sich der Commissario, wie spät es war. Viertel nach zwei. Die erste Herbstkühle schlug ihm entgegen, und er war froh, daß er daran gedacht hatte, eine Jacke überzuziehen. Am Ende der calle bog er rechts ab, Richtung Rialto. Wahrscheinlich hätte er ein Polizeiboot anfordern sollen, aber man wußte nie, wie lange die brauchten, wogegen Brunetti die Strecke zu Fuß auf die Minute genau taxieren konnte.
    Von der nächtlichen Stadt ringsum nahm er kaum Notiz. Fünf Mann, um ein anderthalbjähriges Kind in Gewahrsam zu nehmen. Wenn der Adoptivvater jetzt mit Verdacht auf Hirnschaden im Krankenhaus lag, so hatten die Carabinieri vermutlich nicht bei ihm geklingelt und höflich um Einlaß gebeten. Brunetti hatte selbst an zu vielen nächtlichen Razzien teilgenommen, um sich über die Panik, die sie auslösten, noch irgendwelche Illusionen zu machen. Er hatte hartgesottene Verbrecher erlebt, die unter dem Ansturm bewaffneter Sturmtrupps in die Hosen pinkelten: Wie würde da erst ein Arzt reagieren, illegal adoptiertes Kind hin oder her? Und die Carabinieri - Brunetti hatte zu viele von ihnen erlebt, die mit Vorliebe unangemeldet hereinplatzten und mit ihrer einschüchternden Autorität auftrumpften, als ob Mussolini noch immer an der Macht wäre und niemand sich ihnen in den Weg stellen dürfe.
    Auf dem Scheitel der Rialtobrücke war Brunetti zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, um den Blick nach rechts oder links schweifen zu lassen. Vielmehr lief er eilig hinunter zur Calle della Bissa. Warum brauchten die Carabinieri ein fünfköpfiges Kommando, und wie waren sie überhaupt an den Tatort gelangt? Ohne Zweifel hatten sie ein Boot nehmen müssen, aber wer hatte sie ermächtigt, einen solchen Einsatz hier in der Stadt durchzuführen? Wer hatte Kenntnis davon, und falls die Razzia
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