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Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
Autoren: Donna Leon
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mit der Questura abgesprochen war, wieso hatte man ihn dann nicht informiert?
    Der Pförtner war anscheinend hinter dem Fenster seiner Loge eingeschlafen: Jedenfalls sah er nicht auf, als Brunetti die Klinik betrat. Der Commissario tappte blindlings durch die prachtvolle Eingangshalle, spürte jedoch den jähen Temperatursturz, während er sich erst nach rechts wandte und dann zweimal links abbog, bis er vor die Notaufnahme gelangte. Die äußere, automatisch gesteuerte Eingangstür glitt zur Seite und ließ ihn passieren. Auf der Schwelle zur zweiten zückte Brunetti seinen Dienstausweis und wandte sich an den weißbekittelten Wärter hinter der Glaswand.
    Der beleibte Mann hatte ein sympathisches Gesicht und wirkte sehr viel fröhlicher, als Zeit und Umständen angemessen war. Nach einem flüchtigen Blick auf Brunettis Ausweis sagte er lächelnd: »Da links runter, Signore. Dann die zweite Tür rechts. Dort liegt er.«
    Brunetti bedankte sich und folgte der Wegbeschreibung. An der bezeichneten Tür klopfte er einmal und trat ein. Der Mann im Kampfanzug, der auf einem Untersuchungstisch lag, war ihm zwar fremd, doch dafür erkannte er die Uniform eines zweiten, der am Fenster stand. Eine Frau im weißen Laborkittel saß neben dem Patienten und glättete einen Streifen Klebeband über seiner Nase. Brunetti sah zu, wie sie einen zweiten Streifen zurechtschnitt und neben dem ersten anbrachte. Sie dienten dazu, einen dicken Mullverband über der Nase des Patienten zu befestigen; in beiden Nasenlöchern steckten Wattepfropfen. Unter den Augen des Mannes hatten sich dunkle Ringe gebildet.
    Der Uniformierte am Fenster lehnte in lässiger Pose, die Arme verschränkt, die Beine gekreuzt, an der Wand und beobachtete die Szene. Er trug die drei Sterne eines Capitanos und ein Paar hohe, schwarze Lederstiefel, die eher zu einem Dressurreiter gepaßt hätten als zum Lenker einer Ducati.
    »Guten Morgen, Dottoressa«, grüßte Brunetti, als die Frau zu ihm aufsah. »Ich bin Commissario Guido Brunetti, und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir sagen könnten, was hier vorgeht.«
    Brunetti, der erwartet hatte, daß der Hauptmann sich einschalten würde, war überrascht und enttäuscht zugleich, als der Mann am Fenster unverändert schwieg. Die Ärztin wandte sich wieder ihrem Patienten zu und drückte ein paarmal gegen die Enden der Klebestreifen, bis sie sicher auf der Haut des Mannes hafteten. »Lassen Sie den Verband mindestens zwei Tage drauf. Der Knorpel hat sich verschoben, doch das sollte sich problemlos wieder normalisieren. Sie müssen nur vorsichtig sein. Heute abend vor dem Zubettgehen nehmen Sie bitte die Wattepfropfen raus. Falls der Verband abgehen sollte oder die Blutung wieder einsetzt, konsultieren Sie einen Arzt, oder kommen Sie wieder hierher zu uns. Alles klar?«
    »Sì, Signora«, bestätigte der Mann mit unnatürlich näselnder Stimme.
    Die Ärztin streckte eine Hand aus, und der Patient griff danach, während er die Füße auf den Boden setzte und, mit der anderen Hand auf den Untersuchungstisch gestützt, zum Stehen kam. Er brauchte einen Moment, um sein Gleichgewicht zu finden. Die Ärztin ging in die Hocke und inspizierte von unten die Mulltupfer in der Nase ihres Patienten. Offenbar fand sie nichts zu beanstanden, denn sie richtete sich gleich wieder auf und trat zurück. »Auch wenn Sie keine Beschwerden haben, kommen Sie in drei Tagen wieder und lassen sich noch mal anschauen, ja?« Der Mann nickte sehr vorsichtig und wollte etwas entgegnen, aber die Ärztin kam ihm zuvor. »Und seien Sie unbesorgt«, setzte sie hinzu. »Das wird schon wieder.«
    Der Patient blickte den Hauptmann an, ehe er sich wieder an die Ärztin wandte. »Ich bin aus Verona, Dottoressa«, nuschelte er.
    »Wenn das so ist«, gab sie forsch zurück, »gehen Sie nach drei Tagen zu Ihrem Hausarzt. Oder auch früher, falls es erneut zu Blutungen kommt. In Ordnung?«
    Er nickte und wandte sich dann an den Hauptmann. »Und mein Dienst, Capitano?«
    »Ich glaube nicht, daß Sie damit diensttauglich sind.« Der Hauptmann deutete auf den Verband. »Ich regele das mit Ihrem Sergente.« Und an die Ärztin gerichtet setzte er hinzu: »Wenn Sie ihm irgendein Attest ausstellen würden, Dottoressa, kann er ein paar Tage krankfeiern.«
    Irgend etwas, vielleicht nur ein Gespür fürs Theatralische oder ein zur Gewohnheit gewordenes Mißtrauen, veranlaßte Brunetti, sich zu fragen, ob der Hauptmann sich auch so liebenswürdig gezeigt hätte,
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