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Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
Autoren: Donna Leon
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schuldig gemacht haben, wurden heute nacht im Zuge einer Großrazzia verhaftet.«
    Obwohl ihn die Anzahl der Betroffenen interessiert hätte, erwiderte Brunetti nichts, und Marvilli hielt offenbar keine weitere Erklärung für nötig.
    »Ist es das, was man ihm anlastet?« nahm Brunetti endlich das Gespräch wieder auf. »Illegale Adoption?« Eine Frage, mit der er sich unversehens in Gustavo Pedrollis ohnmächtigen Kampf gegen die Allmacht des Gesetzes verstrickte.
    »Ich nehme an«, versetzte Marvilli, »daß man ihm außerdem Beamtenbestechung, Urkundenfälschung, Entführung eines Minderjährigen und illegalen Devisentransfer zur Last legen wird.« Er beobachtete Brunettis Gesicht, und als er sah, wie sich die Miene des Commissarios verdüsterte, fuhr der Hauptmann fort: »Im Verlauf der Ermittlungen werden zweifellos weitere Anschuldigungen hinzukommen.« Mit der Spitze eines seiner eleganten Stiefel stieß er einen Fetzen blutigen Verbandsmull vor seinen Füßen weg, bevor er zu Brunetti aufblickte. »Und es würde mich nicht wundern, wenn Widerstand gegen die Staatsgewalt und gegen einen Beamten in Ausübung seines Dienstes darunterfielen.«
    Wohl wissend, wie mangelhaft er über die Vorgänge unterrichtet war, übte Brunetti sich weiter in Schweigen. Er öffnete die Tür zum Flur und ließ Marvilli den Vortritt. Seinem Akzent nach stammte der Hauptmann aus dem Veneto, war jedoch kein Venezianer, weshalb Brunetti annahm, daß er sich im Labyrinth der Klinik nicht auskennen würde. Wortlos führte der Commissario seinen Begleiter durch die leeren Korridore, wobei er, ohne groß nachzudenken, bald nach links, bald nach rechts abbog.
    Vor dem Eingang zur Neurologischen Abteilung machten sie halt. »Haben Sie einen Ihrer Männer bei ihm postiert?« fragte Brunetti.
    »Ja. Den, den er nicht angegriffen hat«, versetzte der Hauptmann. Als er merkte, wie das klang, schob er berichtigend nach: »Einen aus der Abteilung von Verona.«
    Brunetti stieß die Stationstür auf. Hinter dem Empfangstresen saß eine junge Krankenschwester mit langem schwarzem Haar. Sie blickte auf, und Brunetti fand, sie wirkte müde und verdrossen. »Sie wünschen?«
    Bevor sie ihnen erklären konnte, die Station sei für Besucher geschlossen, trat Brunetti versöhnlich lächelnd auf sie zu. »Verzeihen Sie die Störung, Schwester, aber ich bin von der Polizei und möchte Dottor Pedrolli sprechen. Wenn ich recht informiert bin, ist mein Inspektor schon hier.«
    Bei dem Hinweis auf Vianello hellte ihre gestrenge Miene sich ein wenig auf. »Er war da, aber ich glaube, er ist nach unten gegangen. Dottor Pedrolli wurde vor einer Stunde eingeliefert: Dottor Damasco untersucht ihn gerade.« Damit wandte die Schwester sich von dem venezianisch sprechenden Brunetti an den uniformierten Marvilli. »Anscheinend haben ihn die Carabinieri zusammengeschlagen.«
    Brunetti, der spürte, wie Marvilli sich versteifte und vorpreschen wollte, versperrte ihm vorsorglich den Weg. »Dürfte ich wohl zu ihm?« fragte er und hinderte Marvilli mit gebieterischem Blick daran, sich einzumischen.
    »Ich denke schon«, erwiderte die Schwester gedehnt und erhob sich mit der Aufforderung, ihr zu folgen, von ihrem Platz. Im Vorbeigehen sah Brunetti, daß auf dem Computer am Tresen ein Historienfilm lief, vielleicht Der Gladiator, vielleicht auch Alexander.
    Er ging hinter der Schwester her den Flur entlang, Marvillis Schritte im Rücken. Vor einer Tür auf der rechten Seite blieb die Schwester stehen, klopfte, stieß dann - einer Aufforderung folgend, die Brunetti entging - die Tür auf und steckte den Kopf ins Zimmer. »Jemand von der Polizei, Dottore«, sagte sie.
    »Da ist doch schon einer hier, verdammt!« knurrte eine gereizte Männerstimme. »Das reicht. Sagen Sie dem anderen, er soll warten.«
    Die Schwester zog den Kopf zurück und schloß die Tür. »Sie haben's gehört«, verkündete sie, und alle Freundlichkeit war aus ihrer Stimme und Mimik gewichen.
    Marvilli sah auf die Uhr. »Wann macht denn die Cafeteria auf?« fragte er.
    »Um fünf«, antwortete die Schwester. Auf sein enttäuschtes Gesicht hin fuhr sie in sanfterem Ton fort: »Aber im Erdgeschoß finden Sie einen Kaffeeautomaten.« Ohne ein weiteres Wort überließ sie die beiden Männer sich selbst und kehrte zu ihrem Film zurück.
    Marvilli erkundigte sich, ob Brunetti auch etwas trinken wolle, doch der lehnte dankend ab. Mit dem Versprechen, gleich wieder dazusein, machte der Hauptmann sich auf den Weg.
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