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Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
Autoren: Donna Leon
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wenn kein ausgewiesener Kriminalbeamter zugegen gewesen wäre. Die Arztin trat an den Schreibtisch und griff nach einem Notizblock. Sie warf ein paar Zeilen aufs Papier, riß das Blatt ab und reichte es dem Verletzten, der sich bei ihr bedankte und, nachdem er vor dem Hauptmann salutiert hatte, hinausging.
    »Mir wurde gemeldet, es sei noch jemand eingeliefert worden, Dottoressa«, sagte Brunetti. »Können Sie mir sagen, wo ich diesen zweiten Patienten finde?«
    Er merkte erst jetzt, wie jung sie war, viel jünger, als sich das für eine Arztin gehörte. Sie war nicht schön, aber sie hatte ein nettes Gesicht, eines, das sich gut halten und mit dem Alter an Reiz gewinnen würde.
    »Er ist ein Kollege von mir, der stellvertretende Leiter der Kinderstation«, begann sie und betonte den Titel wie eine Beglaubigung dafür, daß die Carabinieri sich nicht an ihm hätten vergreifen dürfen. »Seine Verletzungen gefielen mir gar nicht« - dies mit Blick zum Hauptmann -, »darum habe ich ihn in die Neurologie geschickt und den leitenden Oberarzt zu Hause verständigt.« Brunetti spürte, daß der Hauptmann ihr ebenso gespannt zuhörte wie er. »Die Pupillen reagierten nicht, und er konnte den linken Fuß kaum bewegen. Deshalb schien es mir ratsam, einen Neurologen hinzuzuziehen.«
    An dieser Stelle griff der Hauptmann von seinem Fensterplatz aus ein. »Hätte das nicht warten können, Dottoressa? Man braucht doch nicht gleich einen Spezialisten aus dem Bett zu trommeln, nur weil sich jemand den Kopf angeschlagen hat, oder?«
    Die Arztin wandte sich dem Hauptmann zu, und ihr Blick verhieß ein Sperrfeuer. Statt dessen erwiderte sie ganz gelassen: »Es schien mir geboten, Capitano, weil es ja offenbar ein Gewehrkolben war, mit dem der Kopf des Patienten kollidierte.«
    Eins zu null für die Dame, Capitano, dachte Brunetti. Doch dann fing er den Blick auf, den der Offizier der Arztin zuwarf, und stellte überrascht fest, daß der junge Mann tatsächlich verlegen wirkte.
    »Hat er das behauptet, Dottoressa?« fragte der Capitano.
    »Nein. Er hat gar nichts gesagt. Ihr Soldat hat es mir erzählt, als ich ihn fragte, was mit seiner Nase passiert ist.« Die Ärztin sprach jetzt ganz sachlich.
    Der Hauptmann nickte, stieß sich von der Wand ab und trat mit ausgestreckter Hand auf Brunetti zu. »Marvilli«, stellte er sich vor, während sie einander die Hand schüttelten. Dann fuhr er, an die Ärztin gewandt, fort: »Er ist übrigens keiner von meinen Männern, Dottoressa, sondern in Verona stationiert, wie er Ihnen gesagt hat. Alle vier stammen von dort.« Als weder Brunetti noch die Ärztin darauf eingingen, offenbarte der Capitano seine Jugend und seine Unsicherheit, indem er erklärend nachschob: »Der Offizier, der den Einsatz hätte leiten sollen, wurde überraschend nach Mailand abkommandiert, und da ich hier stationiert bin, mußte ich kurzfristig einspringen.«
    »Verstehe«, sagte die Ärztin. Brunetti, der weder das Ausmaß der Operation noch deren Hintergründe kannte, schwieg vorsichtshalber.
    Marvilli hatte offenbar nichts hinzuzufügen, und so bat Brunetti nach einer Pause: »Wenn Sie erlauben, Dottoressa, würde ich diesen Patienten gern sehen. Den in der Neurologie.«
    »Wissen Sie, wo das ist?«
    »Gleich neben der Dermatologie?«
    »Stimmt. Also wenn Sie den Weg kennen, dürfen Sie von mir aus ruhig hinaufgehen«, erklärte die Ärztin.
    Brunetti, der ihr namentlich danken wollte, schielte nach dem Schildchen an ihrem Revers. Dottoressa Claudia Cardinale, las er. Damit mußte sie wohl leben, aber hatten manche Eltern denn gar keinen Verstand?
    »Ich danke Ihnen, Dottoressa Cardinale«, sagte er förmlich. Die Ärztin ergriff seine dargebotene Hand und dann, zu Brunettis Verblüffung, auch die des Hauptmanns. Gleich darauf ließ sie die beiden Männer allein.
    »Capitano«, sagte Brunetti in sachlichem Ton, »dürfte ich vielleicht erfahren, was hier vorgeht?«
    Marvilli hob die Hand, eine für ihn überraschend verhaltene Geste. »Ich kann Ihre Frage immerhin zum Teil beantworten, Commissario.« Als Brunetti schwieg, fuhr Marvilli fort: »Der Einsatzbefehl heute nacht erfolgte aufgrund einer Ermittlung, die schon geraume Zeit läuft: seit fast zwei Jahren, um genau zu sein. Dottor Pedrolli«, fuhr er fort, und Brunetti nahm an, daß dies der Name des Patienten in der Neurologie sei, »Dottor Pedrolli hat vor achtzehn Monaten illegal ein Baby adoptiert. Er und eine Reihe anderer, die sich des gleichen Vergehens
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