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Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
Autoren: Donna Leon
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schwebte er in jener nebelhaften Sphäre zwischen Wachen und Traum und zögerte, sein beglückendes Hochgefühl dem profanen Schlaf zu opfern. Der Tag hatte ihm eine bisher nie gekannte Empfindung beschert, und er mochte die leuchtende Erinnerung daran noch nicht loslassen. Er versuchte sich zu entsinnen, wann er je so glücklich gewesen war. Vielleicht als Bianca eingewilligt hatte, ihn zu heiraten, oder an ihrem Hochzeitstag, als Santa Maria dei Miracoli im weißen Blumenschmuck prangte und er, sobald Bianca aus der Gondel stieg, die Stufen des Landungsstegs hinuntereilte, um ihre Hand in die seine und sie zur Frau zu nehmen, für immer.
    Gewiß, er hatte auch früher schon glückliche Momente erlebt - den erfolgreichen Abschluß seines Medizinstudiums, als er endlich un dottore war, oder die Ernennung zum stellvertretenden Leiter der Pädiatrie -, aber diese Art von Glück reichte bei weitem nicht an die überbordende Freude heran, die ihm heute abend zuteil wurde, als er Alfredo vor dem Essen gebadet hatte. Mit geübtem Griff hatte er seinem Sohn die Windel angelegt und ihm die flauschige Pyjamahose angezogen. Dann streifte er ihm das mit gelben Entchen bedruckte Oberteil über den Kopf, und als der wieder zum Vorschein kam, war das der Auftakt für ihr allabendliches Spiel: Beide suchten eifrig nach den Händen des Kindes, die Gustavo schließlich eine nach der anderen aus den Ärmeln zog. Alfredo quietschte vor Vergnügen und staunte wie sein Vater beim Anblick der winzigen Finger, die aus den Armlöchern hervorlugten.
    Gustavo faßte den Kleinen um die Taille, stemmte ihn hoch und ließ ihn wieder nach unten gleiten, und Alfredo ruderte dazu im Takt mit den Armen. »Und wer ist ein Prachtjunge? Wer ist papàs Liebling?« fragte Gustavo. Worauf Alfredo wie immer eins dieser wunderbaren Fäustchen emporhob, einen Finger ausstreckte und sich an die eigene Nase tippte. Die dunklen Augen aufmerksam auf den Vater gerichtet, drückte er sein breites Naschen platt; dann nahm er den Finger weg, zeigte aber noch mehrmals auf sich, warf die Arme in die Luft und jauchzte vor Vergnügen.
    »Stimmt genau, Alfredo ist papàs Liebling, papàs Liebling, papàs Liebling!« Und wieder wurde der Kleine hochgehoben, herumgeschwenkt und wedelte dazu mit den Armen. Nur in die Luft warf Gustavo das Baby nicht, denn Bianca fand, das Kind rege sich zu sehr auf, wenn sie vor dem Schlafengehen gar so wild herumtollten. Also schwenkte er den Kleinen nur immer wieder hoch und runter und zog ihn zwischendurch an sich, um ihn auf die Nasenspitze zu küssen.
    Schließlich brachte er seinen Sohn ins Kinderzimmer, wo über dem Bettchen Scharen von Tieren und Fabelwesen schwebten. Auch auf der Kommode war eine ganze Menagerie versammelt. So sanft und behutsam, wie es mit Rücksicht auf den zarten Brustkorb des Kleinen geboten war, drückte Gustavo ihn an sich. Alfredo zappelte, und Gustavo barg sein Gesicht in den weichen Nackenfalten seines Sohnes.
    Der Vater ließ seine Hände nach unten gleiten und hielt den Jungen auf Armeslänge von sich. Und da er einfach nicht genug bekommen konnte, fragte er noch einmal mit trällernder Stimme: »Und wer ist papàs Liebling?« Wieder faßte Alfredo sich an die Nase, und Gustavo schmolz schier das Herz. Die zarten Fingerchen fuhren durch die Luft, bis eines auf Gustavos Nasenspitze landete und der Kleine etwas lallte, das wie papà klang. Dazu ruderte er mit den Armen und zeigte sein täppisches, zahnloses Lächeln.
    Es war das erste Mal, daß Gustavo dieses Wort aus dem Mund seines Sohnes gehört hatte, und vor lauter Rührung griff er sich mit flatternder Hand ans Herz. Durch diese unwillkürliche Bewegung verlor Alfredo den Halt und taumelte gegen seine Schulter. Zum Glück hatte Gustavo die Geistesgegenwart und auch genügend Erfahrung mit verschreckten Kindern, um einen Scherz daraus zu machen. »Und wer versucht da, in papàs Jacke zu klettern?« Damit drückte er Alfredo an seine Brust und wickelte eine Hälfte seiner Strickjacke um den Rücken des Jungen. Sein lautes Lachen sollte zeigen, was für ein wunderbares neues Spiel das sei.
    »O nein, du kannst dich da jetzt nicht verstecken. Auf keinen Fall. Es ist Schlafenszeit.« Gustavo hob den Kleinen hoch und legte ihn auf dem Rücken ins Bettchen. Er zog die Wolldecke nach oben und achtete darauf, daß sie seinem Sohn bis über die Brust reichte.
    »Träum schön, mein kleiner Prinz«, sagte er, wie jeden Abend, seit Alfredo hier in seinem
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