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Brunetti 09 - Feine Freunde

Brunetti 09 - Feine Freunde

Titel: Brunetti 09 - Feine Freunde
Autoren: Donna Leon
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Stuhl etwas näher an den Schreibtisch. Als er sicher war, daß Brunettis volle Aufmerksamkeit dem Papier galt, fuhr er fort: »... in der bestätigt wird, daß Giovanni Dolfin...« Er hielt wieder inne und beglückte Brunetti erneut mit einem Lächeln: ein Hai, der gleich zur Sache kommen würde. Obwohl die Schrift für ihn auf dem Kopf stand, begann er den Text nun langsam vorzulesen: »... ›der besonderen Fürsorge bedarf, bei der Vergabe von Arbeitsstellen bevorzugt zu berücksichtigen ist und wegen seines Unvermögens, Arbeiten jenseits seiner Fähigkeiten durchzuführen, nie benachteiligt werden darf‹.«
    Er fuhr mit dem Finger über das Blatt nach unten, bis er auf den letzten Absatz zeigte, den er dann ebenfalls vorlas: »Es wird bescheinigt, daß obengenannter Giovanni Dolfin nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist und aus diesem Grunde nicht der vollen Strenge des Gesetzes unterworfen werden darf.«
    Contarini ließ das Blatt los und sah zu, wie es langsam auf Brunettis Schreibtisch flatterte. Immer noch lächelnd, sagte er: »Eine Kopie. Für Ihre Unterlagen. Ich nehme an, Sie kennen solche Schriftstücke, Commissario?«
    In Brunettis Familie wurde begeistert Monopoly gespielt, und hier hatte er sie vor sich, die lebenslang gültige Karte: »Du kommst aus dem Gefängnis frei.«
    Contarini schloß seine Aktentasche und stand auf. »Ich möchte jetzt gern zu meinem Mandanten, wenn es geht.«
    »Natürlich«, sagte Brunetti und griff zum Telefon.
    Dann saßen alle drei schweigend da, bis Pucetti anklopfte.
    »Pucetti«, sagte Brunetti, den es rührte, daß der junge Mann auf seinen Ruf hin offenbar die Treppe heraufgerannt gekommen war, so sehr war er außer Atem. »Bringen Sie Avvocato Contarini bitte in Zimmer sieben, damit er seinen Mandanten sprechen kann.«
    Pucetti salutierte zackig. Contarini warf einen fragenden Blick zu Signorina Dolfin, die aber den Kopf schüttelte und sitzen blieb. Contarini murmelte ein paar Höflichkeiten und ging, lächelnd wie immer.
    Brunetti, der bei Contarinis Weggehen aufgestanden war, setzte sich wieder und sah zu Signorina Dolfin hinüber. Er sagte nichts.
    Minuten vergingen, bis sie endlich in völlig normalem Ton sagte: »Sie können ihm nichts anhaben. Er steht unter dem Schutz des Staates.«
    Brunetti hatte sich vorgenommen, stumm zu bleiben, und war neugierig zu sehen, bis wohin er sie damit treiben würde. Er sagte also kein Wort, schob auch keine Gegenstände auf seinem Schreibtisch hin und her und legte nicht einmal die Hände aufeinander; er saß nur da und blickte sie mit unbeteiligter Miene an.
    So vergingen wieder etliche Minuten. Dann fragte sie: »Was wollen Sie tun?«
    »Das haben Sie mir doch eben gesagt, Signorina«, ließ er sich zu antworten herab.
    Dann saßen sie wieder wie zwei Grabsteinfiguren, bis endlich sie sagte: »Das meinte ich nicht.« Sie wandte den Blick und sah zum Fenster hinaus, dann wieder zu Brunetti. »Nicht mit meinem Bruder. Ich möchte wissen, was Sie mit ihm tun wollen.« Zum erstenmal sah er eine Regung in ihrem Gesicht.
    Brunetti hatte keine Lust, mit ihr zu spielen, und versuchte erst gar nicht, ein Mißverständnis vorzutäuschen. »Sie meinen dal Carlo?« fragte er, ohne sich mit Titeln aufzuhalten.
    Sie nickte.
    Brunetti dachte nach, und ein nicht geringer Teil dieses Nachdenkens galt der Frage, wie die Sache mit seiner Wohnung wohl noch ausgehen könnte, wenn es im Ufficio Catasto plötzlich ehrlich zugehen müßte. »Ich werde ihn den Wölfen zum Fraß vorwerfen«, sagte er endlich, und er sagte es mit Genuß.
    Sie riß erstaunt die Augen auf. »Wie meinen Sie das?«
    »Ich werde ihn der Guardia di Finanza ausliefern. Die wird begeistert sein, wenn sie eine Aufstellung aller seiner Bankkonten bekommt, der Wohnungen, die er besitzt, der Anlagekonten, in die seine Frau...« - er sprach dieses Wort besonders genüßlich aus - »... Geld investiert hat. Und wenn die Guardia di Finanza dann erst anfängt, herumzufragen und jedem Straffreiheit zu versprechen, der zugibt, ihn bestochen zu haben, wird das zu einer Lawine anwachsen, die ihn unter sich begräbt.«
    »Er verliert seine Stellung«, sagte sie.
    »Er verliert alles«, korrigierte Brunetti sie und rang sich ein kurzes, freudloses Lächeln ab.
    Sie war über seine Gehässigkeit so bestürzt, daß sie mit offenem Mund dasaß.
    »Wollen Sie mehr hören?« fragte er, außer sich vor Wut bei dem Gedanken, daß er unabhängig von allem, was mit dal Carlo
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