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Brunetti 09 - Feine Freunde

Brunetti 09 - Feine Freunde

Titel: Brunetti 09 - Feine Freunde
Autoren: Donna Leon
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blieb der Mann stehen und blickte von oben auf Brunetti herab.
    »So was zu kriegen wäre nämlich schrecklich«, sagte er. »Schrecklich für die Familie.« Er nickte eifrig, um die Wahrheit dieser Worte zu bekräftigen, trat dann zur Seite und ließ Brunetti vorgehen. Hinter ihnen knallte Carraro die Tür des Arzneischranks zu, aber staatseigenes Mobiliar ist stabil, und das Glas brach nicht.
    Draußen auf dem Flur standen die beiden Uniformierten, die Brunetti ins Krankenhaus bestellt hatte, und am Anleger wartete das Polizeiboot mit dem stets wortkargen Bonsuan am Ruder. Sie verließen das Krankenhaus durch den Seitenausgang und gingen die paar Meter zu dem festgemachten Boot, wobei der Mann den Kopf gesenkt und die Schultern hochgezogen hielt, eine Haltung, die er im selben Moment angenommen hatte, als er die Uniformen sah.
    Sein Gang war schwerfällig und ungelenk, ihm fehlte das Fließende normaler Bewegungen, als wären die Leitungen von seinem Gehirn zu den Füßen gestört. Als sie aufs Boot stiegen, wandte der Mann, der zwischen den beiden Uniformierten ging, sich an Brunetti und bat: »Darf ich bitte unten sitzen, Signore?«
    Brunetti zeigte zu den vier Stufen, die in die Kabine führten, und der Mann ging hinunter und setzte sich auf eine der langen, gepolsterten Bänke an den Seitenwänden. Er steckte die gefalteten Hände zwischen die Knie, beugte den Kopf darüber und starrte zu Boden.
    Als sie vor der Questura anlegten, sprangen die Beamten an Land und machten das Boot fest. Brunetti ging zur Treppe und rief hinunter: »Wir sind jetzt da.«
    Der Mann blickte auf und erhob sich.
    Auf der Fahrt hatte Brunetti überlegt, ob er ihn zum Verhör mit in sein Dienstzimmer nehmen sollte, aber er hatte anders entschieden, weil er fand, daß die häßlichen, fensterlosen Verhörzimmer mit ihren fleckigen Wänden und der grellen Beleuchtung sich für das, was er tun mußte, besser eigneten.
    Sie gingen, die Uniformierten voraus, in den ersten Stock hinauf und dort den Korridor entlang bis zur dritten Tür rechts. Brunetti öffnete sie und hielt sie für den Mann auf. Dieser ging schweigend hinein, blieb stehen und drehte sich zu Brunetti um, der auf einen der Stühle an einem verkratzten Tisch deutete.
    Der Mann setzte sich hin. Brunetti schloß die Tür, kam ins Zimmer und setzte sich ihm gegenüber.
    »Mein Name ist Guido Brunetti. Ich bin Commissario der Polizei«, begann er, »und in diesem Zimmer befindet sich ein Mikrofon, über das alles aufgezeichnet wird, was wir hier sagen.« Er nannte Datum und Uhrzeit und wandte sich dann dem Mann zu.
    »Ich habe Sie hierhergebracht, um Ihnen Fragen im Zusammenhang mit drei Todesfällen zu stellen: dem Tod eines jungen Mannes namens Franco Rossi, dem Tod eines weiteren jungen Mannes namens Gino Zecchino und dem Tod einer jungen Frau, deren Namen wir noch nicht kennen. Zwei von diesen Personen sind in einem Haus bei Angelo Raffaele gestorben, die dritte nach einem Sturz vom Gerüst an ebendiesem Haus.« Hier hielt er einmal kurz inne, dann fuhr er fort: »Bevor wir weitermachen, muß ich Sie bitten, mir Ihren Namen zu nennen und sich auszuweisen.« Als der Mann nicht reagierte, wiederholte Brunetti: »Würden Sie mir bitte Ihren Namen nennen, Signore?«
    Der andere blickte auf und fragte mit unendlich trauriger Stimme: »Muß ich das?«
    »Ich kann es Ihnen nicht ersparen«, antwortete Brunetti resigniert.
    Der Mann senkte den Kopf und blickte auf den Tisch. »Oh, sie wird so böse auf mich sein«, sagte er leise. Dann sah er zu Brunetti auf und sagte mit derselben leisen Stimme: »Giovanni Dolfin.«

24
    B runetti suchte nach einer Familienähnlichkeit zwischen diesem ungelenken Riesen und der dürren, gebeugten Frau, die er in dal Carlos Vorzimmer gesehen hatte. Er sah keine, fragte aber lieber nicht, in welcher Weise sie verwandt seien, weil er es besser fand, den Mann reden zu lassen, während er selbst die Rolle dessen spielte, der schon alles wußte und nur dazu da war, Fragen zu Nebensächlichkeiten und nach dem zeitlichen Ablauf zu stellen.
    Schweigen machte sich breit. Brunetti ließ es zu, bis das ganze Zimmer davon erfüllt war und man nur noch Dolfins schweren Atem hörte.
    Endlich sah er Brunetti mit einem leidvollen Blick an. »Ich bin nämlich ein Conte, verstehen Sie? Wir sind die letzten; nach uns kommt keiner mehr, weil Loredana... Na ja, sie hat eben nie geheiratet, und...« Wieder blickte er auf den Tisch, aber der weigerte sich nach wie vor, ihm
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