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Brunetti 09 - Feine Freunde

Brunetti 09 - Feine Freunde

Titel: Brunetti 09 - Feine Freunde
Autoren: Donna Leon
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bis zum Ospedale Civile, und als er ankam, sagte er dem Pförtner, man müsse ihn durch den Ärzteeingang in die Notfallambulanz lassen, damit ihn keine wartenden Patienten sähen. Seine Eile mußte ansteckend wirken, denn der Mann verließ sofort seinen Glaskasten und führte ihn durch den Hauptkorridor, am Patienteneingang zur Notfallambulanz vorbei, durch eine unbeschriftete Tür und dann einen schmalen Gang hinunter. So landete er endlich im Schwesternzimmer.
    Die diensthabende Schwester sah überrascht zu ihm auf, als er da so ohne Vorwarnung neben ihr auftauchte, aber Carraro mußte ihr gesagt haben, daß sie mit jemandem zu rechnen habe, denn sie stand auf und sagte: »Er ist bei Dottor Carraro.« Sie zeigte auf die Tür zum Behandlungszimmer. »Da drin.«
    Brunetti öffnete die Tür, ohne anzuklopfen, und ging hinein. Ein weißbekittelter Carraro stand über einen großen Mann gebeugt, der rücklings auf dem Behandlungstisch lag. Sein Hemd und Pullover hingen über einer Stuhllehne, und Carraro horchte dem Patienten gerade mit seinem Stethoskop das Herz ab. Da er die Stöpsel in den Ohren hatte, bemerkte er Brunettis Kommen nicht. Nur der Mann auf dem Tisch bemerkte es, und als sich bei Brunettis Anblick sein Herzschlag beschleunigte, blickte Carraro auf, um zu sehen, was diese Reaktion bei seinem Patienten bewirkt hatte.
    Er sah Brunetti, sagte aber nichts.
    Der Mann auf dem Tisch lag ganz still, aber Brunetti bemerkte, wie er sich plötzlich anspannte und ein kurzes Erschrecken über sein Gesicht huschte. Er sah auch die entzündete Stelle an der Außenseite des rechten Unterarms; sie war oval und hatte Ränder, die aussahen wie ein Reißverschluß.
    Brunetti sagte erst einmal lieber nichts. Der Mann auf dem Tisch schloß die Augen und ließ sich zurücksinken, die Arme schlaff an seinen Seiten. Brunetti sah, daß Carraro durchsichtige Gummihandschuhe anhatte. Wenn er erst jetzt hereingekommen wäre und den Mann so hätte daliegen sehen, hätte er geglaubt, er schlafe. Sein eigener Herzschlag beruhigte sich. Carraro trat vom Untersuchungstisch fort, ging an seinen Schreibtisch, legte das Stethoskop darauf und verließ wortlos das Zimmer.
    Brunetti ging auf den Untersuchungstisch zu, achtete aber darauf, daß er mindestens eine Armlänge Abstand hielt. Er sah jetzt auch, wie stark dieser Mann sein mußte: Seine Brust- und Schultermuskeln waren gewölbt und straff, das Ergebnis jahrzehntelanger Schwerarbeit, die Hände riesig; die eine war geöffnet, und Brunetti fielen die abgeflachten Kuppen seiner breiten, spatenförmigen Finger auf.
    In Ruhe wirkte das Gesicht des Mannes irgendwie abwesend. Sogar als er Brunetti zum erstenmal gesehen und vielleicht begriffen hatte, wer er war, hatte sich seine Miene kaum verzogen. Die Ohren waren sehr klein; überhaupt wirkte der seltsam zylindrische Kopf ein bis zwei Nummern zu klein für diesen schweren, muskulösen Körper.
    »Signore«, sagte Brunetti schließlich.
    Der Mann öffnete die Augen und sah zu Brunetti auf. Die Augen waren von einem satten Braun, das Brunetti an Bären denken ließ, aber vielleicht lag das auch nur an der kompakten Figur. »Sie hat gesagt, ich soll nicht herkommen«, meinte er. »Sie hat gesagt, es ist eine Falle.« Er blinzelte, hielt die Augen dann lange geschlossen, öffnete sie wieder und sagte: »Aber ich hatte Angst. Ich habe die Leute darüber reden hören und hatte Angst.« Wieder dieses lange, scheinbar zeitlose Augenschließen, so lange, daß man meinte, der Mann habe sich inzwischen woandershin begeben, wie ein Taucher unter den Wassern des Meeres, der lieber inmitten der größeren Schönheit da unten blieb und nur ungern wieder heraufkam. Die Augen gingen auf. »Aber sie hatte recht. Sie hat immer recht.« Mit diesen Worten richtete er sich auf. »Keine Angst«, sagte er zu Brunetti, »ich tue Ihnen nichts. Der Doktor muß mir nur zuerst die Medizin geben, dann komme ich mit. Aber vorher brauche ich die Medizin.«
    Brunetti nickte; er hatte Verständnis für diesen Wunsch. »Ich hole mal schnell den Doktor«, sagte er und ging ins Schwesternzimmer hinaus, wo Carraro stand und telefonierte. Von der Schwester war nichts zu sehen.
    Carraro legte auf, als er Brunetti sah, und drehte sich zu ihm um. »Nun?« Alle Wut war wieder in seiner Stimme, aber Brunetti vermutete, daß sie nichts mit einer Verletzung des hippokratischen Eides zu tun hatte.
    »Ich möchte, daß Sie den Mann jetzt gegen Tetanus impfen, dann nehme ich ihn mit in
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