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Brunetti 09 - Feine Freunde

Brunetti 09 - Feine Freunde

Titel: Brunetti 09 - Feine Freunde
Autoren: Donna Leon
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die Questura.«
    »Zuerst lassen Sie mich mit einem Mörder allein in einem Zimmer«, ereiferte sich Carraro, »und jetzt erwarten Sie auch noch von mir, daß ich ihm eine Tetanusimpfung gebe? Sie müssen den Verstand verloren haben.« Er kreuzte die Arme vor der Brust, um deutlich zu machen, daß er sich weigerte.
    »Ich glaube nicht, daß eine Gefahr für Sie besteht, Dottore. Die Spritze braucht er vielleicht sowieso, bei diesem Biß. Auf mich wirkt die Wunde entzündet.«
    »Sind Sie jetzt auch noch Arzt, ja?«
    »Dottore«, begann Brunetti. Dabei blickte er auf seine Schuhe und holte tief Luft. »Ich bitte Sie, Ihre Handschuhe wieder anzuziehen und mit mir nach nebenan zu kommen, um Ihrem Patienten eine Tetanusspritze zu geben.«
    »Und wenn ich mich weigere?« fragte Carraro mit hohler Bockigkeit, und der Atemhauch, der dabei in Brunettis Richtung wehte, roch nach Pfefferminz und Alkohol - eine Mischung, aus der das Frühstück des wahren Alkoholikers besteht.
    »Wenn Sie sich weigern, Dottore«, sagte Brunetti mit tödlich ruhiger Stimme und drohend ausgestreckter Hand, »dann zerre ich Sie eigenhändig in dieses Zimmer und sage dem Mann, daß Sie ihm die Spritze nicht geben wollen, die ihn heilt. Und dann lasse ich Sie mit ihm allein.«
    Er beobachtete Carraro, während er das sagte, und sah, daß der Arzt ihm glaubte. Das genügte ihm für seinen Zweck. Carraro ließ die Arme sinken und brummelte noch etwas vor sich hin, was Brunetti nicht zu hören vorgab.
    Er hielt Carraro die Tür auf und kehrte mit ihm ins Behandlungszimmer zurück. Dort saß der Mann jetzt auf der Kante des Untersuchungstischs und ließ die Beine herunterbaumeln. Er knöpfte sich gerade das Hemd über der tonnenförmigen Brust zu.
    Carraro ging stumm zu einem Glasschrank auf der anderen Seite des Zimmers, öffnete ihn und nahm eine Injektionsspritze heraus. Dann bückte er sich und kramte geräuschvoll in den Medikamentenschachteln auf dem Schrankboden herum, bis er gefunden hatte, was er suchte. Er entnahm einer Schachtel eine kleine gläserne Ampulle mit Gummistöpsel und ging damit an seinen Schreibtisch. Sorgsam streifte er sich ein neues Paar Gummihandschuhe über, riß die Plastikverpackung von der Spritze und stach die Nadel durch den Gummistöpsel der Ampulle. Er zog den gesamten Inhalt der Ampulle auf und wandte sich dem Mann auf dem Untersuchungstisch zu, der sich das Hemd inzwischen in die Hose gesteckt und einen Ärmel bis kurz unter dem Ellbogen hochgekrempelt hatte.
    Brunetti sah, wie er dem Arzt seinen Arm hinstreckte, das Gesicht abwandte und die Augen zukniff, wie Kinder es machen, wenn sie geimpft werden. Carraro legte die volle Spritze neben dem Mann auf den Tisch, packte den Arm, schob den Ärmel bis über den Bizeps hoch und stach ihm mit unnötiger Kraft die Nadel in den Muskel, um die Flüssigkeit hineinzuspritzen. Dann zog er die Nadel wieder heraus, riß den Arm des Mannes grob in die Höhe, damit aus dem Stich weniger Blut kam, und ging zurück an den Schreibtisch.
    »Danke, Dottore«, sagte der Mann. »War das die Arznei?«
    Da Carraro beharrlich schwieg, antwortete schließlich Brunetti: »Ja, das war sie. Nun brauchen Sie keine Angst mehr zu haben.«
    »Und es hat nicht einmal weh getan. Nicht sehr«, sagte der Mann. Er sah Brunetti an. »Müssen wir jetzt gehen?«
    Brunetti nickte. Der Mann ließ den Arm sinken und besah sich die Stelle, an der Carraro ihm die Nadel hineingestochen hatte. Es trat Blut aus.
    »Ich glaube, Ihr Patient braucht einen Verband, Dottore«, sagte Brunetti, obwohl er wußte, daß Carraro nichts unternehmen würde. Der Arzt zog sich die Handschuhe aus und wollte sie auf einen Tisch werfen, den er weit verfehlte, doch es kümmerte ihn überhaupt nicht, daß sie zu Boden fielen. Brunetti ging an den Arzneischrank und warf einen Blick in die Schachteln auf dem obersten Brett. In der einen befanden sich gewöhnliche Heftpflaster. Er nahm eines heraus und ging zu dem Mann zurück. Als er die sterile Verpackung aufriß und das Pflaster auf die blutende Stelle kleben wollte, hob der Mann abwehrend die Hand.
    »Vielleicht bin ich ja doch noch nicht ganz geheilt, Signore, lassen Sie mich das lieber selbst machen.« Er nahm das Pflaster, drückte es mit ungeschickter linker Hand auf die Wunde und strich die klebenden Enden auf seiner Haut glatt. Dann rollte er seinen Ärmel herunter, stand auf und bückte sich, um seinen Pullover aufzuheben.
    Als sie an die Tür des Behandlungszimmers kamen,
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