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Brunetti 09 - Feine Freunde

Brunetti 09 - Feine Freunde

Titel: Brunetti 09 - Feine Freunde
Autoren: Donna Leon
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zu sagen, wie er das alles erklären sollte. Er seufzte und setzte noch einmal an: »Ich werde nicht heiraten. Ich habe kein Interesse an... alldem«, sagte er mit einer fahrigen Handbewegung, als wollte er »all das« damit wegwischen. »Also sind wir die letzten, und darum ist es so wichtig, daß nichts auf den Namen der Familie oder auf unsere Ehre kommt.« Den Blick fest auf Brunetti gerichtet, fragte er: »Verstehen Sie das?«
    »Natürlich«, antwortete Brunetti. Er hatte keine Ahnung, was »Ehre« hier bedeutete, vor allem für das Mitglied einer Familie, deren Name schon über achthundert Jahre alt war. »Wir müssen in Ehren leben«, war alles, was ihm zu sagen einfiel.
    Dolfin nickte mehrmals. »Das sagt Loredana auch. Sie hat es immer zu mir gesagt. Sie sagt, es bedeutet nichts, daß wir nicht reich sind, es bedeutet überhaupt nichts. Wir haben immer noch den Namen.« Er sagte das mit dem Nachdruck, mit dem Leute oft etwas von sich geben, was sie nicht wirklich verstanden haben, weshalb die Überzeugung das Denken ersetzen muß. Irgendein Mechanismus schien jetzt in Dolfins Hirnkasten in Gang gesetzt worden zu sein, denn er senkte wieder den Kopf und begann die Geschichte seines berühmten Vorfahren, des Dogen Giovanni Dolfin, herunterzuleiern. Brunetti fühlte sich beim Zuhören sonderbar beruhigt, denn die Laute versetzten ihn zurück in seine Kindheit, als die Nachbarsfrauen zu ihnen ins Haus gekommen waren, um gemeinsam den Rosenkranz zu beten, und die gemurmelten Wiederholungen immer derselben Gebete ihn in ihren Bann schlugen. Er ließ sich einfangen von diesen raunenden Stimmen aus einer anderen Zeit, bis er Dolfin sagen hörte: »... an der Pest im Jahre 1361.«
    An diesem Punkt sah Dolfin auf, und Brunetti nickte zustimmend. »Ja, so ein Name ist wichtig«, sagte er in der Hoffnung, den Mann am Reden zu halten. »Da muß man schon gut aufpassen, um ihn zu schützen.«
    »O ja, das hat Loredana auch zu mir gesagt, genau das.« Dolfin sah Brunetti mit einem Blick an, in dem so etwas wie Respekt dämmerte: Da war noch einer, der verstand, unter welcher Verpflichtung sie beide lebten. »Sie hat mir gesagt, daß wir besonders diesmal alles tun müssen, um ihn zu bewahren und zu schützen.« Beim letzten Halbsatz geriet seine Zunge ins Stolpern.
    »Natürlich«, ermunterte ihn Brunetti, »besonders diesmal.«
    Dolfin fuhr fort: »Sie hat mir gesagt, daß dieser Mann bei ihr im Amt schon immer neidisch auf sie war, wegen ihrer Stellung.« Als er Brunettis ratloses Gesicht sah, erklärte er: »In der Gesellschaft.«
    Brunetti nickte.
    »Sie konnte nie begreifen, warum er sie so haßte. Aber dann hat er irgendwas mit Papieren angestellt. Sie hat ja versucht, es mir zu erklären, aber ich hab's überhaupt nicht verstanden. Jedenfalls hat er falsche Urkunden erstellt, die es so aussehen lassen sollten, als ob Loredana im Amt schlimme Dinge machte und für irgend etwas Geld genommen hätte.« Er legte die Hände flach auf den Tisch und erhob sich halb. In beängstigender Lautstärke rief er: »Die Dolfins tun nie etwas für Geld! Geld bedeutet den Dolfins nichts.«
    Brunetti hob beschwichtigend die Hand, und Dolfin ließ sich wieder auf den Stuhl sinken. »Wir tun nichts für Geld«, sagte er mit Nachdruck. »Das weiß die ganze Stadt. Nicht für Geld. Aber«, fuhr er fort, »sie hat gesagt, daß alle Leute glauben werden, was in den falschen Urkunden steht, und dann wird es einen Skandal geben. Unser Name wird ruiniert sein, hat sie gesagt, und ich soll doch...« Er korrigierte sich: »Nein, das wußte ich selbst, das brauchte mir keiner zu sagen. Keiner darf ungestraft Lügen über die Dolfins verbreiten.«
    »Verstehe«, pflichtete Brunetti ihm bei. »Das heißt, Sie wollten ihn anzeigen?«
    Dolfin machte eine wegwerfende Handbewegung, die zeigen sollte, was er von der Justiz hielt. »Nein. Es ging um unsere Ehre, da durften wir das Recht selbst in die Hand nehmen.«
    »Aha.«
    »Ich wußte ja, wer er war. Ich war ein paarmal dort gewesen, um Loredana zu helfen, wenn sie vormittags die Einkäufe machte und dann lauter schwere Sachen nach Hause zu tragen hatte. Da bin ich immer hin und hab ihr geholfen.« Letzteres sagte er mit unbewußtem Stolz: der Mann in der Familie, der selbstverständlich seine Pflicht tat. »Sie wußte, wohin er an dem Tag gehen wollte, und hat mir gesagt, ich soll ihm folgen und versuchen, mit ihm zu reden. Das hab ich auch getan, aber angeblich konnte er überhaupt nicht
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