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Brunetti 09 - Feine Freunde

Brunetti 09 - Feine Freunde

Titel: Brunetti 09 - Feine Freunde
Autoren: Donna Leon
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Unterlippe. »Oje, sie wird so böse auf mich sein! Sie hat mir gesagt, ich soll nicht ins Krankenhaus gehen. Das ist eine Falle, hat sie gesagt. Und sie hatte recht. Ich hätte auf sie hören sollen. Sie hat immer recht. Sie hat schon immer in allem recht gehabt.« Er legte die Hand behutsam auf die Stelle am Arm, wo er die Spritze bekommen hatte, sagte aber nichts weiter. Ganz sanft strich er mit den Fingern über die Stelle.
    Es wurde still, und Brunetti fragte sich, wieviel von dem, was Loredana Dolfin ihrem Bruder erzählt hatte, wohl der Wahrheit entsprach. Er hatte keinen Zweifel mehr, daß Rossi hinter die Korruption im Ufficio Catasto gekommen war, aber daß die Familienehre der Dolfins davon betroffen gewesen sein sollte, bezweifelte er sehr.
    »Und als Sie dann wieder hingegangen sind?« fragte er. Die zunehmende Fahrigkeit in Dolfins Bewegungen machte ihm Sorgen.
    »Der andere, der die Drogen nahm, der war dagewesen, als es passierte. Er war mir bis nach Hause gefolgt und hatte sich bei Leuten erkundigt, wer ich war. Sie kannten mich ja wegen meines Namens.« Brunetti hörte den Stolz, mit dem er das sagte, dann fuhr der Mann fort: »Er ist zu unserer Wohnung gekommen, und als ich rauskam und zur Arbeit gehen wollte, hat er zu mir gesagt, er hätte alles gesehen. Aber er ist mein Freund, hat er gesagt, und will mir helfen, damit ich keinen Ärger bekomme. Ich hab ihm das geglaubt, und wir sind zusammen ins Haus zurückgegangen und haben angefangen, das Zimmer da oben zu säubern. Er hat gesagt, daß er mir dabei helfen will, und ich hab's ihm geglaubt. Als wir dann da waren, ist die Polizei gekommen, aber der hat er irgendwas erzählt, und sie ist wieder abgezogen. Und als sie fort war, hat er zu mir gesagt, daß ich ihm Geld geben muß, sonst holt er die Polizei zurück und zeigt ihr das Zimmer, und dann kriege ich großen Ärger, hat er gesagt, und alle werden wissen, was ich getan habe.« Dolfin unterbrach sich an dieser Stelle und schien zu überlegen, welche Konsequenzen das wohl gehabt hätte.
    »Und?«
    »Ich habe ihm gesagt, daß ich kein Geld habe, denn das gebe ich immer Loredana, weil sie weiß, was man damit macht.«
    Dolfin erhob sich halb und drehte den Kopf hin und her, als horchte er auf ein Geräusch in seinem Nacken.
    »Und?« fragte Brunetti noch einmal im selben höflichen Ton.
    »Ich hab's natürlich Loredana erzählt. Und wir sind wieder hingegangen.«
    »Wir?« wiederholte Brunetti und bereute sogleich, daß ihm diese Frage herausgerutscht war.
    Bis dahin hatte Dolfin immerzu den Kopf hin und her gedreht, aber bei Brunettis Frage - oder seinem Ton - hielt er damit inne. Brunetti konnte förmlich zusehen, wie Dolfins Vertrauen zu ihm sich in Luft auflöste und er allmählich zu begreifen schien, daß er sich im Lager des Feindes befand.
    Nachdem mindestens eine Minute verstrichen war, fragte Brunetti: »Signor Conte?«
    Dolfin schüttelte energisch den Kopf.
    »Signor Conte, Sie sagten, daß Sie zusammen mit jemand anderem zu dem Haus zurückgegangen sind. Wollen Sie mir nicht sagen, mit wem?«
    Dolfin stützte die Ellbogen auf den Tisch, senkte den Kopf und hielt sich die Ohren zu. Als Brunetti wieder zu sprechen anfing, schüttelte Dolfin nur heftig den Kopf. Wütend über sich selbst, weil er den Mann in eine Ecke gedrängt hatte, aus der er nicht mehr herauszulocken war, stand Brunetti auf und ging hinaus, um Dolfins Schwester anzurufen, denn etwas anderes blieb ihm nun nicht mehr übrig.

25
    S ie meldete sich mit »Ca' Dolfin«, nichts weiter, und Brunetti war so überrascht von dem Ton, einem Fanfarenstoß aus lauter absichtlich falschen Tönen, daß er eine kleine Weile brauchte, sich ihr vorzustellen und den Grund seines Anrufs zu erklären. Falls seine Mitteilung sie beunruhigte, verbarg sie dies sehr gut und sagte nur, sie werde ihren Anwalt verständigen und dann auf dem schnellsten Weg in die Questura kommen. Sie stellte keine Fragen und verriet auch keine Neugier angesichts der Eröffnung, daß ihr Bruder im Zusammenhang mit einem Mord verhört werde. Ihre Reaktion hätte nicht gelassener sein können, wenn es in dem Gespräch um etwas ganz Alltägliches gegangen wäre, etwa um einen falschen Strich in einem Bauplan. Doch da Brunetti nicht von einem Dogen abstammte, seines Wissens jedenfalls nicht, hatte er eben keine Ahnung, wie man in solchen Kreisen mit Mord in der Familie umging.
    Brunetti hielt sich nicht eine Sekunde an der Möglichkeit auf, daß Signorina Dolfin
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