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Brunetti 09 - Feine Freunde

Brunetti 09 - Feine Freunde

Titel: Brunetti 09 - Feine Freunde
Autoren: Donna Leon
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fürchtete Brunetti, sein Vorgesetzter sei verrückt geworden oder die Anforderungen seiner Stellung - vielleicht auch die seines privaten Lebens - hätten ihn über den Punkt hinausgetrieben, bis zu dem er seine Gefühle noch im Griff hatte, und nun wäre er über eine unsichtbare Grenze hinweg in einen Zustand besinnungsloser Wut geraten. Brunetti legte die Hände auf die Schreibtischplatte und hütete sich tunlichst, sich zu bewegen oder noch einmal Anstalten zum Aufstehen zu machen.
    »Also? Also?« schrie Patta ihn an. Auch er legte die Hände auf Brunettis Schreibtisch und beugte sich über die Platte, bis sein Gesicht ganz dicht vor Brunettis war. »Ich will wissen, warum Sie ihm das antun! Wenn Roberto etwas zustößt, werde ich Sie vernichten!« Patta richtete sich wieder auf, die Hände jetzt beiderseits des Körpers zu Fäusten geballt. Brunetti sah den Vice-Questore schlucken, dann hörte er ihn mit drohender Stimme sagen: »Ich habe Sie etwas gefragt, Brunetti.«
    Brunetti schob sich auf seinem Stuhl zurück und umfaßte die Armlehnen. »Ich finde, Sie sollten sich lieber setzen, Vice-Questore«, sagte er, »und mir erst einmal sagen, worum es geht.«
    Falls Patta angefangen hatte, sich zu beruhigen, so war es damit jetzt wieder aus. Schon brüllte er: »Lügen Sie mich nicht an, Brunetti! Ich will wissen, warum Sie das getan haben.«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, versetzte Brunetti, dem jetzt auch etwas von seinem eigenen Zorn in die Stimme geriet.
    Patta zog die Zeitung vom Vortag aus der Jackentasche und klatschte sie Brunetti auf den Tisch. »Hiervon rede ich!« schrie er und stach mit wütendem Finger auf das Papier ein. »Von dieser Meldung, daß Robertos Festnahme unmittelbar bevorsteht und er mit Sicherheit gegen die Leute aussagen wird, die den Drogenhandel im Veneto kontrollieren.« Bevor Brunetti etwas entgegnen konnte, fuhr Patta fort: »Ich weiß doch, wie ihr arbeitet, ihr Nordlichter: wie ein Geheimbund. Ihr braucht doch nur einen eurer Freunde bei der Zeitung anzurufen, und die drucken jeden Mist, den ihr ihnen erzählt.«
    Plötzlich erschöpft, ließ Patta sich auf einen Stuhl sinken, der vor Brunettis Schreibtisch stand. Sein immer noch hochrotes Gesicht war schweißbedeckt, und als er es abwischte, sah Brunetti, daß seine Hand zitterte. »Die bringen ihn um«, sagte er fast unhörbar.
    Endlich begriff Brunetti, und seine Empörung über Pattas Benehmen schwand. Er wartete ein paar Augenblicke, bis Patta wieder einigermaßen normal atmete, dann sagte er: »Es geht nicht um Roberto.« Er versuchte ganz ruhig zu sprechen. »Es geht um diesen Jungen, der letzte Woche an einer Überdosis gestorben ist. Seine Freundin war bei mir und hat mir gesagt, sie weiß, wer ihm die Drogen verkauft hat, aber sie traute sich nicht, mir den Namen zu nennen. Ich dachte, die Zeitungsmeldung könnte ihn dazu bewegen, freiwillig zu kommen und mit uns zu reden.«
    Er sah, daß Patta zuhörte; ob er ihm aber auch glaubte, war eine völlig andere Frage. Oder, falls er ihm glaubte, ob es etwas änderte.
    »Es hat nichts mit Roberto zu tun«, wiederholte er so ruhig, wie es ihm nur möglich war. Er verkniff sich den Hinweis, daß Patta doch selbst behauptet hatte, Roberto habe nichts mit dem Verkauf von Drogen zu tun, so daß der Artikel ihn unmöglich in Gefahr bringen könne. Nicht einmal Patta war einen so billigen Sieg wert. Brunetti verstummte und wartete auf Pattas Antwort.
    Nach langem Schweigen sagte der Vice-Questore: »Es ist mir egal, um wen es geht«, woraus zu schließen war, daß er glaubte, was Brunetti gesagt hatte. Er sah Brunetti mit einem direkten, ehrlichen Blick an. »Sie haben ihn gestern abend angerufen. Auf seinem telefonino.«
    »Und was haben sie gesagt?« erkundigte sich Brunetti, dem sehr wohl bewußt war, was Patta ihm soeben gestanden hatte: daß sein Sohn, der Sohn des Vice-Questore von Venedig, mit Drogen handelte.
    »Sie haben ihm gesagt, daß sie davon lieber nichts mehr hören wollen, weder daß er mit irgendwem gesprochen habe, noch daß er zur Questura gegangen sei.« Patta schloß die Augen und verstummte; offenbar mochte er nicht weitersprechen.
    »Sonst?« fragte Brunetti ruhig.
    Nach wieder einem langen Warten kam die Antwort. »Das haben sie nicht gesagt. Brauchten sie auch nicht.« Brunetti zweifelte nicht an der Wahrheit dieses Satzes.
    Plötzlich hatte er nur noch den Wunsch, überall sonst, nur nicht hier zu sein. Lieber noch wäre er in diesem Raum mit
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