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Brüder der Drachen

Brüder der Drachen

Titel: Brüder der Drachen
Autoren: Bernhard Weissbecker
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im Westen, und ihr rotes Licht hatte den Himmel in Brand gesetzt. Der Ritter hielt einen Stein in seiner Hand, den er wahllos aus dem Geröll hervorgezogen hatte. Er beachtete nicht die anderen Menschen, die, von der nahenden Nacht angelockt, aus ihren Verstecken gekrochen waren. Am Rand des Ruinenfeldes, im Schutz einer intakten Mauer, stand ein Mann und wühlte in den Trümmern herum, wie auch Loridan es tat. Offenbar war der Fremde auf der Suche nach Reichtümern, die von den verstorbenen oder geflohenen Menschen zurückgelassen worden waren, damals, als die Drachen die Stadt zerstört hatten. Der Drachentöter suchte nicht nach Schätzen; still blickte er auf den Stein, den er immer noch in der Hand hielt. Flechten wuchsen auf ihm, doch unter der krustigen, grauen Schicht war er geschwärzt wie von Feuer und Rauch. Vor der Stärke der Drachen schien noch nicht einmal solides Mauerwerk bestehen zu können. Und wo selbst diese Stärke nicht reichen sollte, dort setzten sie ihr Feuer ein.
    Dunkle Wolken sammelten sich im Westen vor der glühenden Sonne, wie Rauch und Feuer, und für einen Moment glaubte Loridan sich in die Zeit zurückversetzt, in der die Stadt zerstört worden war. So musste auch damals der Himmel geleuchtet haben, als Car-Elnath in Flammen stand. Bewusst rief Loridan sich das Leid ins Gedächtnis, das die Drachen über die Stadt gebracht hatten. Eine Unzahl von Menschen war damals getötet worden – begraben unter den Trümmern der Häuser oder verbrannt im Feuer der Drachen. Die Drachen: Diener des Bösen waren sie, dazu geschaffen, Feuer und Tod über die Menschen zu bringen. War es nicht gut, ein Drachentöter zu sein und gegen diese Bestien kämpfen zu können – sie zu strafen für die Vernichtung, die sie über diese Stadt gebracht hatten? Ja, die unschuldigen Menschen mussten geschützt werden vor diesen furchtbaren Kreaturen. Aber wie unschuldig waren denn die Menschen? Loridan dachte an den Krieg, der sich in seiner Heimat anbahnte, in dem Menschen bald andere Menschen töten würden. Mit welchem Recht würden sie dies tun? Wer von ihnen war gut, wer war böse? Waren die Drachen wirklich böse, nur weil sie gegen die Menschen kämpften?
    Mit einem unwilligen Kopfschütteln ließ Loridan den Stein zu Boden fallen, zwischen die anderen Trümmer, die die gesamte Fläche bedeckten. Noch eine Weile stand er dort, verloren in seinen Gedanken, und erst der Ruf einer Kriegspfeife brachte ihn in die Gegenwart zurück. Er kannte die Bedeutung des Signals: Es war eine Warnung. Einer der Späher, die ständig Ausschau über die Stadt hielten, hatte einen Drachen gesichtet – einen Drachen, der sich den Ruinen der Stadt näherte. Der Fremde, der nahebei in den Trümmern gewühlt hatte, blickte besorgt zum Himmel hinauf. Wahrscheinlich wusste dieser Mann haargenau, wo der nächste sichere Unterschlupf zu finden war – irgendein alter Keller oder ein Gewölbe, das nicht von Geröll und Trümmern verschüttet war. Für jeden Bewohner von Car-Elnath war es das oberste Gebot, immer einen sicheren Ort in der Nähe zu kennen.
    Loridan wusste, wie töricht er selbst war, so unbefangen durch diese Stadt zu wandern. Aber er war hierhergekommen, um etwas herauszufinden – etwas, das er nicht in einem dunklen Gewölbe finden würde. Er blickte erwartungsvoll zum Himmel, um es nicht zu verpassen, wenn der Drache erschien. Und dann sah er ihn: ein gewaltiger Schatten, der in niedriger Höhe über die Stadt hinwegzog; dunkel hob sich der Umriss gegen das rote Glühen des Abendhimmels ab. Eilig machte der Fremde sich davon und verschwand hinter einer Mauer. Der Drache schien die plötzliche Bewegung bemerkt zu haben und stieß auf das Trümmerfeld herunter, wo Loridan immer noch stand. Doch der Ritter blieb ruhig, nur geschützt durch seinen braunen Umhang, der ihn mit dem formlosen Untergrund verschmelzen ließ. Nur ein paar Schritte entfernt war eine Vertiefung in den Trümmern, in der er zumindest der Sicht des Drachen entgehen könnte, Loridan wusste jedoch, dass es verhängnisvoll wäre, sich nun zu bewegen.
    Dann zog der Drache vorüber und schlug einmal mit seinen gewaltigen Flügeln, um seinen Kurs nach Norden zu ändern, dem nahen Meer entgegen. Aufgewirbelter Staub traf Loridans Gesicht, als er dem Drachen hinterherblickte, bis dieser über den Ruinen der Stadt verschwunden war.
    *
    Der Pfad, der von Quildons Raststätte nach Westen führte, war vor langer Zeit ein bedeutender Handelsweg gewesen. Auch
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