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Der Traumkicker - Roman

Der Traumkicker - Roman

Titel: Der Traumkicker - Roman
Autoren: Insel Verlag
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I
    Es war ein Montag im Oktober, als sie zu Fuß mitten auf der ausgestorbenen Straße auftauchten. Zur Stunde der Siesta in der Wüste. Nicht ein verdammter Hauch in der Luft, und unter der brüllheißen Sonne schmolzen die Lebensgeister von allem, was auf dem Antlitz der Erde atmete.
    Der Mann und die Frau kamen wortlos unter dem gleißenden Himmel näher.
    Er ging vorne, sie zwei Schritte dahinter; sie trug einen kleinen Holzkoffer mit Blechecken und er einen Fußball unter dem Arm, weiß und mit Waben (ein Blick, und wir wussten, es war ein Profiball).
    Staunend folgten wir den beiden mit den Augen.
    Der Mann hatte ein Tropenhemd an, eine zu weite Hose und Schuhe aus Segeltuch, und den Ball hielt er genau wie die Torhüter bei den Paraden zur Turniereröffnung. Obwohl er um die vierzig sein musste und, man wusste nicht auf welchem seiner O-Beine, leicht zu hinken schien, bewegte er sich mit dem Gehabe und der Coolness eines Profikickers. Außerdem trug er ein schmales Stirnband, was man hier draußen sonst nie sah. Hinter ihm trottete schmächtig und klein und viel jünger als er, die rote Haarmähne unter der Sonne lodernd, die Frau so brav wie ein Haustier. Sein Gesicht war schweißgebadet, auf ihrem stand nicht ein Tropfen.
    »Die sehen aus, als hätten sie sich gründlich verlaufen«, sagte einer von uns, vielleicht Cocata Martínez, der in der Fabrik für Eisblöcke und Eis am Stiel arbeitete.
    Die Calle Balmaceda, über die sie kamen, war die Straße mit den Ladengeschäften und der Hauptweg in die Siedlung (Coya Sur hatte nur sechs Straßen, und alle sechs unbefestigt). Aber sie waren nicht auf der Seite des Minenladens aufgetaucht, woher man aus einer der anderen Salpetersiedlungen kam, sondern auf der Seite der Leihbücherei. Und das konnte nur eins bedeuten: dass diese beiden Spukgestalten zu Fuß gekommen waren, unter der sengenden Sonne, von der Panamericana her, die einige Kilometer im Osten verlief.
    Der Mann und die Frau gingen eben an der Zielwurfbahn vorbei, da wurden sie ohne Vorwarnung von einer staubigen Windhose erfasst; von einem dieser riesigen Wirbel, unter denen sich die allgemeine mittägliche Wüstenträgheit duckte, wenn sie heulend aus dem Nichts kamen, unter Getöse an Türen und Fenstern zerrten und den Müll von den Dächern fegten.
    Die beiden konnten bloß noch stehen bleiben und die Augen zukneifen: Die Frau hielt ihre Röcke fest, ohne den Koffer abzustellen, der Mann hatte den Ball unterm Arm, die Beine leicht gegrätscht und den Kopf gesenkt wie ein Spieler, der vor der Einwechslung letzte Anweisungen bekommt, oder wie Bruder Zacarías Ángel im Gebet auf der Straße, ehe er mit seiner Predigt von der bevorstehenden Wiederkehr Christi loslegte.
    Als der Wirbel weitergezogen war und sich hinter dem Rancho Huachipato verlor (wo Augenblicke zuvordie vier Elektriker der Siedlung wie vier mittägliche Erscheinungen stumm und im Gänsemarsch einen heben gegangen waren), öffneten der Mann und die Frau die Augen, spuckten Sandkörnchen, klopften sich ein bisschen die Kleider ab und setzten ihren Weg fort.
    Obwohl sie eigentlich nicht aussahen, als wollten sie irgendwohin.
    Eine halbe Häuserzeile weiter blieben sie, vielleicht verlockt von José Felicinos Bolero, den die Wurlitzer-Jukebox ausgähnte (und der die Dumpfheit der Siesta zusätzlich dämpfte), vor der Konditorei Ibacache stehen, genau uns gegenüber. Den Rücken an das warme Wellblech der Häuserfront gelehnt, glitten sie mit verrenkten Gliedern zu Boden. Bisher war zwischen den beiden kein Wort gefallen, trotzdem kam uns die Frau, die unablässig Kaugummi kaute und rosa Blasen damit machte, noch viel stummer und ausgesetzter vor als er. Ihr Verhalten hatte etwas geradezu Bußfertiges an sich.
    Wir hockten im Schatten unter dem Schilfdach vorm Rancho Grande, hielten mit dem Eis, das Cocata Martínez mitgebracht hatte, die Hitze in Schach und kommentierten die Ereignisse des gestrigen Spiels (die Staubfresser hatten uns mal wieder geschlagen). Und natürlich stellten wir Mutmaßungen, Berechnungen und Prognosen an, wie das Rückspiel am nächsten Sonntag laufen würde. Einig waren wir uns jedenfalls, dass wir verdammt nochmal gewinnen mussten, und wenn es das Letzte war, was wir in unserem Leben taten. Weil es nämlich unser letztes Heimspiel sein würde, unsere letzte Begegnung auf eigenem Platz. Tatsächlich würdees für uns das letzte Fußballspiel vor dem Ende der Welt sein.
    Auf dem Gehweg begannen die
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