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Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)

Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)

Titel: Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)
Autoren: Tilman Janus
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Neigung zu beiden Geschlechtern und nahm sie weise gelassen hin.
    In dem Päckchen befand sich eine kleine, antike Kalksteinplatte, sieben mal fünf Zentimeter, mit dem farbigen Bild eines Kopfes im Profil. Die Haut des Dargestellten war dunkelblau, am Kinn trug er den geflochtenen Götterbart, auf dem Haupt saß die Atef-Krone mit der Sonnenscheibe. Es war ein Bildnis von Osiris, dem Gott der Unterwelt und der Auferstehung. Sein Auge blickte mich schön und lebendig an. Ascans Auge. Schon als Schüler hatte ich entdeckt, dass Osiris die gleichen Augen besaß wie mein halbägyptischer Bruder. So war meine Leidenschaft für die Ägyptologie entstanden, eine Ersatzleidenschaft. Ich berührte das Bild zart mit den Lippen. Nur Karím konnte mir ein so wundervolles Geschenk machen.
    Ich erklomm mit meinem bleischweren Koffer die Treppen zu Ascans Wohnung nicht weit vom Kurfürstendamm.
    »Hallo!«, rief Ascan. »Willst du eine Wand zwischen uns aufmauern, oder warum schleppst du Steine mit?«
    »Dieses Mal liegen Sie besser im Rennen, Herr Kandidat. Steine ist richtig. Ich kann nicht meine ägyptischen Altertümer in der Wohnung lassen, wenn die Tür zerstört ist. Wie einbruchsicher ist es bei dir?«
    »Wie in einer Festung.«
    Ich sah ihm in die Augen. Wenn ich wirklich mit ihm in derselben Wohnung schlafen sollte, musste ich mich irgendwie ablenken. Was sollte ich tun? Quizsendungen im Fernsehen angucken? Waldlauf? Kultur?
    »Hast du Lust, mit mir ins Theater zu gehen?«
    Ascan blickte mich überrascht an. »Theater? Ja, warum nicht. Was schlägst du vor?«
    Warum war er plötzlich so wunderbar zu mir? Bloß nicht fragen.
    »Irgendwo soll es Schillers Räuber geben.«
    »Ein bisschen altertümlich. Aber gut, ich hab das Stück noch nie gesehen. Geht es da nicht um zwei Brüder?«
    »Ja«, sagte ich.
    Karl und Franz. Karl, gut und hochstrebend. Franz, die Canaille. Karl aber wurde Räuber, Verbrecher aus Verzweiflung.
    »Jetzt sind wir frei – Kameraden! Tod oder Freiheit!«
    Ascan saß neben mir und verfolgte gespannt das Spiel der düster kostümierten Schauspieler. Ich sah ihn im Profil, sah das Osiris-Auge, die kurze Nase, die herzförmigen Lippen. Freiheit … Freiheit, ihn zu lieben! Jetzt, im Dunkel des Zuschauerraumes, hätte ich mein Bein ganz leicht an seinen Oberschenkel lehnen können, und er hätte inmitten der Leute nicht aufspringen und weglaufen dürfen. Ich tat es nicht.
    »Verräter ich? – Geh’ in die Hölle, ich folge dir!« – »Bruderherz! Du folgst mir.«
    Wenn er es nur erlaubt hätte!
    Franz, von schwerer Gewissensschuld bedrückt, erdrosselte sich. Karl sah ein, »dass zwei Menschen wie ich den ganzen Bau der sittlichen Welt zugrunde richten würden«.
    Ich atmete tief durch. Der Bau der sittlichen Welt war längst zugrunde gerichtet worden, von gefährlicheren Menschen als von einem Mann, der seinen Bruder liebte. Warum wollte Ascan mich nicht? War es eine biblische Moral, die den modernen Menschen noch in den Klauen hielt? Im alten Ägypten hatten sich oft Bruder und Schwester geliebt, gewiss auch Bruder und Bruder. Oder war Ascan einfach von mir und meinem Schwulsein angewidert? Oder lag es gar an diesem mysteriösen Pirkko?
    »Gehen wir was trinken«, schlug ich vor, als der Schlussbeifall nachließ.
     
    Wir saßen uns beim Wein gegenüber. Ich trank nur mäßig, um nicht wieder die Kontrolle über mich zu verlieren. Aber ich wollte Antwort auf meine Fragen haben.
    »Schiller«, sagte ich tollkühn zu ihm, während ich seine großen Augen fixierte, »Schiller war doch stockschwul.«
    Ascan lachte tatsächlich. »Stößt du mit dieser Theorie nicht ein deutsches Denkmal vom Sockel?«
    »Aber es kann gar nicht anders gewesen sein. Seine Ehe war ein bürgerliches Trauerspiel. Auch mit dieser Charlotte von Kalb hatte er kein Glück. Am wohlsten hat er sich im Kreis seiner Freunde gefühlt. Und seine Texte sprechen doch Bände. Freiheit! Welche Freiheit? Sieben Jahre in einer Knabenschule interniert. Und dann die Räuber geschrieben. Und ein paar Jahre später Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein . Außerdem hatte er ein Stück über einen homosexuellen Malteserritter geplant – leider nie geschrieben.«
    »Nun sag noch, dass Schiller in Goethe verliebt war.«
    »Wer weiß? In Goethe waren viele verliebt.« Ich schwieg plötzlich. Ascan sah mich fragend an. Ich holte tief Luft und wagte es. »Ascan! Wer … ist Pirkko?« Würde er jetzt wieder aufstehen und
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