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Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)

Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)

Titel: Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)
Autoren: Tilman Janus
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mit Ascan gelebt hatte, in dem ich ihn gesehen, jeden Tag gesehen hatte. Die Köpfe hatten wir zusammengesteckt über harmlosen Geheimnissen. Tote Sperlinge hatten wir beerdigt und kleine Grabkreuze aus Reisig für sie gebastelt. Bunte Steine und Glasstücke hatten wir gesammelt und uns gegenseitig damit beschenkt. Im Winter hatten wir uns Häuser aus Schnee gebaut. Im Sommer waren wir nebeneinander durch den Wald gelaufen und hatten nackt im See gebadet. Ich hatte es gewusst, dass ich ihn liebte, von Anfang an gewusst, dass ich niemals im Leben einen anderen so lieben würde wie ihn. Und es war so geblieben. Die vielen anderen, mit denen ich im Bett gelegen hatte, waren nur kümmerliches Surrogat gewesen.
    Ich fahre stromab auf dem Kanal des Herrschers.
    Mein Herz will zum Zelteaufschlagen
    auf der Spitze an der Mündung des Mertiu-Kanals.
    So sehe ich das Eintreten meines Bruders, wenn er
    bei dem Gartenhaus ist.
    Mein Haar ist gebeugt von Salböl,
    mein Schoß gefüllt mit Persea.
    Ich bin wie der Herr,
    ich bin wie der Herr der beiden Länder, wenn ich mit ihm bin.
    Ich trank meinen Kaffee stumm. Mutter fragte nichts mehr. Erst nach einer langen Weile sah ich sie an. Früher hatte sie mich aus seinem Bett vertrieben, als wir noch Kinder waren, als meine Liebe zu ihm noch unschuldig war. Am Sonntagmorgen war ich immer in sein Bett geschlüpft. Wir hatten uns eine Höhle aus Kissen und Decken gebaut und "Steinzeitmenschen" gespielt. Irgendwann hatte sie es verboten, und wir hatten beide nicht gewusst, warum.
    »Meine Wohnung ist gestern abgebrannt«, sagte ich schließlich. »Sie würde dir nicht mehr gefallen. Es ist alles verwüstet.« Ich machte eine kurze Pause. »Eine Familie kannst du von mir nicht erwarten. Du weißt es längst, auch wenn ich es nie ausdrücklich gesagt habe. Ich bin schwul, schon immer, von Anfang an, und ich kann und will mich nicht ändern. – Und Ascan wird mir nie verzeihen, dass ich ihn damals, an unserem neunzehnten Geburtstag, vergewaltigen wollte. Ich liebe ihn. Auch von Anfang an. Ich liebe ihn mehr als alles sonst. Ich kann nicht mit ihm unter einem Dach leben. – Das ist alles, Mutter, das sind deine Geburtstagsgeschenke. Willst du sie noch?«
    Ellen hielt meinem Blick stand. Sie zog den Nerz etwas enger um ihre Schultern, dann nahm sie langsam den Löffel und rührte in ihrer Kaffeetasse endlich den Zucker um.
    »Danke für den Kuchen«, sagte ich und stand auf. »Ich rufe dich später an.«
    »Moment noch!«, befahl sie. »Setz dich bitte, Hagen!«
    »Es hat keinen Zweck, darüber zu reden, Mutter. Davon ändert sich nichts.«
    »Ich werde doch wohl meine Meinung dazu äußern dürfen. – Ich missbillige diese absonderliche Liebe zu deinem Bruder, und ich missbillige überhaupt deinen Hang zu Männern. Aber du bist mein Sohn, das wird immer so bleiben, was du auch tust. Doch Ascan ist ebenso gut mein Sohn wie du. Und ich will euch beide zusammen sehen, so wie früher. Ascan wird lernen müssen, dich nicht mehr zu hassen. Und du wirst es lernen, dich zu beherrschen.«
    Ich sagte nichts. Sie stellte sich das so einfach vor.
    »Wie kommt es, dass ihr euch jedes Jahr zum Geburtstag seht, wenn ihr so verfeindet seid?«
    »Ich hatte ihn damals darum gebeten. Ich weiß selbst nicht, warum er zugestimmt hat.«
    »Hat es wirklich in deiner Wohnung gebrannt?«, fragte sie nach einer Weile.
    »Ja. Die Gasheizung in der Küche ist explodiert.«
    »Gas!« Sie hob die Augenbrauen. »Da muss ich also Gott danken, dass du heute noch herkommen konntest.«
    »Seit wann bist du fromm, Mutter?«
    »Seit drei Sekunden. War Ascan bei dir, als das Feuer ausbrach?«
    »Ja. Wir sind gemeinsam vom Balkon gesprungen, bevor die Feuerwehr kam.«
    »Gemeinsam vom Balkon gesprungen«, wiederholte sie ironisch. »Immerhin … ein Anfang.«
    Mein Telefon klingelte, als ich am Montagnachmittag gerade meine Wohnung betrat. Ich nahm an, dass mir die Feuerversicherungsgesellschaft den Begutachtungstermin ankündigen wollte.
    »Hallo, hier ist Ascan«, sagte ein unbekannter Anrufer. Es konnte nur ein Unbekannter sein, weil Ascan – der richtige, wirkliche Ascan – mich seit neun Jahren nicht angerufen hatte. Vor dem alljährlichen Geburtstagstreffen hatte immer ich den Kontakt hergestellt, um das Organisatorische zu klären.
    »Ascan?«, fragte ich ungläubig. Meine Stimme klang heiser.
    »Ich wollte mich nach deinem Gemütszustand und nach deiner Wohnung erkundigen«, fuhr der Fremde fort. »Hast du schon
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