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Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)

Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)

Titel: Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)
Autoren: Tilman Janus
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diesen perfekten Lotosfinger nur zu gut aus unseren keuschen Jugendtagen, hatte seine Entwicklung heimlich-zärtlich über Jahre beobachtet.
    Wir waren Brüder. Mehr als das, wir waren beinahe Zwillinge.
    Unser gemeinsamer Vater, ein attraktiver, viel reisender Geschäftsmann, hatte in fast jeder Hauptstadt der Welt eine Geliebte gehabt. Der Himmel wusste, wie viele Halbgeschwister wir sonst noch hatten. Doch bei Ascan und mir gab es eine Besonderheit: Wir wurden genau am selben Tag des Jahres neunzehnhundertzweiundfünfzig geboren, ich in Berlin und er in Kairo.
    Ascans Mutter, eine schöne, grazile ägyptische Tänzerin, starb wenige Tage nach seiner Geburt. Da fasste unser Vater den damals überaus mutigen Entschluss, das Baby seiner Frau anzuvertrauen. Meine Mutter war zum Glück schon immer eine praktische Person. Als Vater ihr den schwarzhaarigen, halb verhungerten Säugling zerknirscht in den Arm legte, nahm sie den Kleinen ohne viele Worte zusammen mit mir an ihre Brust. Sie nannte ihn Ascan.
    Wir lebten in einer prächtigen Villa am Uferhang des Berliner Schlachtensees. In dem weitläufigen, verwilderten Garten verbrachten Ascan und ich eine unglaublich glückliche Kindheit. Vater starb, als wir zwölf waren, doch unser Leben änderte sich dadurch kaum. Ich allein war schuld an der Vertreibung aus dem Paradies.
    Wir hatten beide während unserer neunzehnten Geburtstagsfeier, die zugleich Abiturfeier war, ungewohnt viel Wein getrunken, ich noch mehr als Ascan. Seit Jahren liebte ich meinen bezaubernd schönen Bruder leidenschaftlich. Es war klar, dass ich diese glühende Sehnsucht vor aller Welt verheimlichte. In jener Nacht jedoch hatte ich das Gefühl, dass ich nicht mehr weiterleben könnte, wenn er mich nicht genauso liebte wie ich ihn. Ich wollte, beflügelt vom Rotwein, ihm endlich alles gestehen. Leise schlich ich in sein Zimmer.
    Ascan schlief nackt bei offenem Fenster. Er lag hingegossen auf dem Bauch, vom silbrigen Mondlicht überglänzt. Ich nahm jede Körperkontur, jedes feinste Flaumhärchen auf seiner hellen Haut wahr. Eine Erregung packte mich, die ich nicht mehr beherrschen konnte. Ascans göttlich modellierter Hintern ließ mich unzurechnungsfähig werden. Ich fiel über ihn her, presste ihn aufs Bett und versuchte, grob und rücksichtslos in ihn einzudringen.
    Ascan fuhr aus dem Schlaf auf und wehrte sich wie eine Wildkatze. Ich war von jeher größer und stärker als er und hätte ihn leicht überwältigen können. Doch er brauchte keine Körperkraft, um mich zu besiegen.
    »Mein eigener Bruder … ist einer von diesen widerlichen Arschfickern, die nach Scheiße stinken!«, zischte er. »Du elendes Schwein! Du ekelst mich an! Geh! Geh weg!«
    Es hatte schrecklich wehgetan. Ich hatte mich so sehr gedemütigt gefühlt, dass ich ihn losgelassen hatte, trotz meiner übergroßen Erregung, und aus dem Zimmer gerannt war. Ich hatte unsere wunderbare, unschuldige Freundschaft, unsere brüderliche Vertrautheit getötet.
    Erster März neunzehnhundertachtzig. Geburtstag. Einmal im Jahr besuchte mich mein Bruder, unter strengen Auflagen. Von Kind an hatten wir unseren Geburtstag immer gemeinsam gefeiert. Nach dieser schrecklichen Nacht vor neun Jahren hatte ich ihn angefleht, mir wenigstens dieses Zugeständnis zu machen, und er hatte nach langem Zögern widerwillig zugestimmt.
    Komm zu mir,     
    damit ich deine Schönheit sehe …
    Darum ertrug ich dieses Martyrium – um ihn zu sehen, wenigstens einmal im Jahr sein Gesicht zu sehen. Tiefer hinab durfte ich meine Blicke nicht wandern lassen, dann wäre er gar nicht mehr erschienen. Neun Jahre war es her, dass ich ihn zum letzten Mal nackt gesehen hatte.
    Deine Anmut
    hat von der Anmut des Vogels.
    Deine Gestalt
    hat noch Knabengestalt.
    Dein Geruch hat den Duft von Lotos …
    »Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte Ascan.
    »Natürlich! Du sprachst gerade über deine Idee, wie du den Werbetext für die extra hauchdünnen und gefühlsechten Herrensocken verbessern könntest.«
    Er lachte auf. Ich sah seine weißen Zähne und die rosenrote Zunge.
    »Siehst du, Hagen, deshalb besuche ich dich noch gelegentlich. Du bist trotz deiner ungeschliffenen Art amüsant. Ich redete übrigens von einer Werbekampagne für halterlos sitzende Damenstrümpfe.«
    »Herrensocken sind besser. Erinnerst du dich eigentlich noch an die warmen Strumpfhosen, die wir als Jungs im Winter immer anziehen mussten, und die so furchtbar hinderlich beim Pinkeln waren?«
    Ascan
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