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Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)

Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)

Titel: Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)
Autoren: Tilman Janus
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waren.
    Schließlich erstand ich in einem der vielen winzigen, zusammengedrängten Läden ein Armband mit Skarabäen von Lapislazuli und Kobras aus Karneol, gefasst in Gold, nachgebildet dem Armschmuck des jungen Königs Tutanchamun. Für dich, Ellen! Ascan durfte ich nichts schenken.
    In einem hart errungenen, klapprigen Taxi, das ich mir – wie üblich in Kairo – mit mehreren fremden Personen teilen musste, gelangte ich am frühen Abend nach Gizeh. Gerade sah ich noch die kleineren Pyramiden von Abusir aus der Wüste hinter den frischgrünen Feldern hervorleuchten, als ich mich auch schon am Cheops-Grabmal befand. Wie immer konnte ich es kaum glauben, weil die gigantische, sandfarbene Pyramidenmasse vor der gigantischen, sandfarbenen Wüstenkulisse nicht mit einem Blick zu erfassen war, nicht einmal für mich, den Ägyptologen. Viertausendfünfhundert Jahre alt, einhundertachtunddreißig Meter Steingebirge, fast so hoch wie der Kölner Dom, mit einem Rauminhalt von mehr als zweieinhalb Millionen Kubikmetern, memorierte ich ehrfürchtig. Da warf mir ein Junge eine Rose zu.
    Die Rose war mit Sicherheit aus irgendeiner Hotelanlage gestohlen, und der Junge wollte Bakschisch haben.
    »Eine Mumie eine Mark«, sagte er mehrmals auf Deutsch. Wie erkannten sie einen nur immer? Er hielt mir ein papierumwickeltes Plastikpüppchen entgegen.
    Ich sah ihn an, sah sein Gesicht inmitten der Scharen von Andenkenverkäufern, von Männern im Sattel festlich aufgeputzter Kamele, zwischen bettelnden Kindern und Touristen, neben schwarzen, räudigen Anubis-Hunden, zwischen Müll und alten Zeitungsblättern, die ein heißer, stickiger Wüstenwind unter graugelbem Himmel um die Pyramide trieb, und sah, dass er Ascans Mund hatte. Die vollen, zärtlich-weichen, herzförmigen Lippen.
    Ich nahm die hässliche Kunststoffmumie und gab dem Jungen viel zu viele Münzen.
    Mit einem gemeinsamen Aufschrei stürzten sich die übrigen jugendlichen Händler auf den erfolgreichen Konkurrenten. Er entkam ihnen geschickt und floh in den Schutz des großen, für ägyptische Verhältnisse unermesslich reichen Deutschen – dicht an meine Seite.
    »Cheops!«, sagte er, zeigte auf die Pyramide und fasste meinen Hemdsärmel vertraulich.
    Ich schüttelte den Kopf, doch der Junge ließ nicht locker. Er stieg voran zum Grabeingang und zerrte mich durch die Menschenmenge zielstrebig hinein in die dumpfige, heißfeuchte Dämmerung. Ich ahnte, dass mein sehnsüchtiger Blick mich verraten hatte. Ich dachte nicht mehr nach. Ich sah den herzförmigen Mund und folgte ihm.
    Zuerst ging es einen engen Gang entlang, dann steil hinauf. Nur tief gebückt konnte ich gehen, auf einer hölzernen, überdimensionalen Hühnerleiter, eingezwängt in Touristenströme. Dann öffnete sich vor mir im Schein trüber elektrischer Glühbirnen die Große Galerie, ein monumentaler, schräg nach oben führender Saal, fast fünfzig Meter lang. Geschoben von den nachfolgenden Menschen, überrollt von den entgegenkommenden, quälte ich mich weiter, dem herzförmigen Mund nach.
    Zahllose ägyptische Fremdenführer, selbst bereits halb mumifiziert, schrien alle gleichzeitig unverständliche Texte in den laut hallenden Raum hinein. Ich schwitzte, wie ich mich nicht erinnern konnte, jemals geschwitzt zu haben. Je weiter ich hinaufstieg, desto heißer und feuchter wurde das, was früher vielleicht einmal mit Luft Ähnlichkeit gehabt hatte.
    Endlich erreichte ich die düstere, kahle und glühend heiße Grabkammer mit dem leeren, schwarzen Granit-Sarkophag. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Ka, der Geist des Königs Cheops auch nur für eine Minute an diesem unwirtlichen Ort hätte wohnen wollen, in diesem mit Zigarettenkippen und Abfällen entheiligten, nach zersetztem Urin stinkenden Raum. Wie unendlich weit war Ägypten inzwischen von aller Pracht entfernt.
    Der Junge legte die Hand auf meinen Unterarm. Ich spürte die Berührung auf meiner erhitzten Haut, als könnte diese kleine, elendsgewohnte Hand den Brand des Mantelfutters löschen. Er zog mich durch eine schmale Mauerlücke zu einer kleinen, verborgen liegenden Seitenkammer und wollte mir die Hose öffnen.
    Da endlich wachte ich auf. Ich schob die Hand des Jungen weg, riss mein Portemonnaie aus der Tasche und gab ihm hastig ein paar Scheine, für ihn ein kleines Vermögen. Dann floh ich in Entsetzen und abgrundtiefer Scham über die Galerie hinab, jagte durch die engen Grabgänge hinaus aus Bruthitze und Gestank, hinaus in die
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