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Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben

Titel: Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben
Autoren: Diana L. Paxson
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das Dickicht rings um den Teich, und in diesem Augenblick ging die Sonne unter, die Wolken schlossen sich, und es schien, als fielen die Nebel von Niflhel über die Welt.
    Der Wind erstarb. Schaudernd suchte Oesc Haedwigs Nähe. Die Vernunft sagte ihm, das Pferd, dessen Haut und Schädel an einem Gestell aus Pfählen über dem Wasser hingen, sei gewiss tot, doch das Wasser war gestiegen, und somit wirkte es, als stünde das Tier im Teich.
    »Was ist denn los?« Unwillkürlich senkte er die Stimme und flüsterte.
    Sie drehte sich um, und diesmal sah sie ihn, wenngleich ihre Pupillen immer noch geweitet waren, als mündeten ihre Augen in die Dunkelheit.
    »Warte!« Ein Schaudern erfasste sie. »Bald kommt er.« Mit bebenden Fingern band sie das Tuch von der Spitze des Speeres. Der rauchige Stein schimmerte in den Schatten, als wohne ihm sein eigenes Licht inne.
    Leise wie aus weiter Ferne ertönte der Ruf eines Horns. Eine plötzliche Bö zerrte an den Rabenfedern des Runenstabes. Dann hörten sie Hufschlag. Männer, so schien es Oesc, ritten über den Knüppelpfad, der durch das Sumpfland führte, doch das Geräusch wurde rasch lauter. Kein Pferd vermochte so sicher über glitschig nasse Stämme zu galoppieren; zudem ließ der schmale Weg sich bestenfalls im Gänsemarsch bewältigen. Was er vernahm, klang jedoch, als näherten sich beachtlich viele Pferde – oder war es Donner, den er hörte? Kreischte der Wind, oder war es die bittere Antwort vieler Hörner?
    Oesc vermochte es nicht zu sagen, doch der Laut ließ das Blut in seinen Adern gerinnen. Er kauerte sich zu Haedwigs Füßen nieder und wünschte, er könnte sich in die Erde graben, um Schutz zu finden. Die Tierschädel, die auf den Opferstäben staken, schaukelten heftig, die Pferdehaut über den unruhigen Wassern hob und senkte sich und reckte sich den verwitterten Bildnissen der Götter entgegen.
    Im nächsten Augenblick tobte der Tumult, den er hatte herannahen hören, über ihnen. Das letzte Licht war entschwunden; Oesc nahm lediglich ein wirres Durcheinander von Schatten wahr. Gaukelte ihm seine Einbildung Wahnbilder vor, die jene Schatten in Skelettpferde und wilde, Speere oder Schwerter schwingende Reiter verwandelte? Oder, schlimmer noch, in Walkyriun, in Kriegsdämonen, die auf geifernden Wölfen ritten und statt Zügel Schlangen hielten? Entsetzt rang er einen Schrei nieder, als ein Windstoß die Pferdehaut erfasste und sie durch die Luft flatterte und sich zu den Geisterpferden der Wilden Jagd gesellte.
    Inmitten dem wilden Toben kauerte er nieder, bis Haedwigs Hand an seiner Schulter ihn neuerlich aufschauen ließ. Die Schreckensgestalten waren verschwunden. Die Schemen, die nun, von eigenem Licht umrahmt, über ihm schwebten, waren edlerer Natur.
    »Sieh, Sohn des Octha, deine Urväter – Wihtgils, Witta, Wehta und deren Ahnen…«
    Zitternd richtete Oesc sich auf und hob grüßend den Arm.
    Die Namen erklangen weiter, doch er nahm sie nicht wahr. Sein gesamtes Wesen richtete sich auf jene leuchtenden Gestalten, die, bald grimmig, bald freundlich, mit prüfendem Blick auf ihn herabstarrten, als wollten sie abwägen, ob er würdig sei, ihr Geschlecht zu vertreten.
    Und dann, obwohl sich die Bäume rings um sie nach wie vor im Sturm neigten, erfüllte die Schwere einer gewaltigen Erscheinung die Luft über dem Teich. Oesc blieb stehen, doch er schloss fest die Augen. Er war noch nicht bereit, das, was nun nahen mochte, zu schauen. Dennoch konnte er sich nicht dagegen wehren zu hören, wenngleich er weder zu jenem Zeitpunkt noch später wusste, ob sein Verstand oder seine Ohren die Worte wahrgenommen hatten.
    »Das also ist er«, schien eine tiefe Stimme zu grollen.
    »Ich habe ihn seit seiner Geburt gehütet«, erwiderte Haedwig. »Wann beginnt die Zukunft, die ich für ihn vorausgesehen habe?«
    »Das liegt in der Hand der Nomen. Aber wenn die Zeit kommt, wird er wählen müssen…«
    »Welche Wahl hat er?«
    »Hier zu bleiben und in einem sterbenden Land ein langes Dasein zu fristen oder jenseits des Wassers alles aufs Spiel zu setzen…«
    »Aber die Runen sprachen von Sieg«, warf die weise Frau ein. Die andere Stimme unterbrach sie.
    »Den Wechsel der Jahreszeiten zu ertragen ist ein ebensolcher Sieg wie der Tod im Kampf. Ersteres ist der Pfad Ingvis, Letzteres der meine. Wählt er den meinen, wird man sich in einem neuen Land an seinen Namen erinnern, und er wird Könige zeugen.«
    »Ist das Euer Wille, Herr?« Nun war es Haedwigs Stimme,
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