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Brief in die Auberginenrepublik

Brief in die Auberginenrepublik

Titel: Brief in die Auberginenrepublik
Autoren: Abbas Khider
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ich ausschließlich damit verbracht, diesen Brief zu verfassen. Ich arbeitete an ihm, und noch gestern überdachte, verbesserte und änderte ich das Geschriebene. Dabei musste ich immer an Samia denken, wollte ihr eine Menge erzählen und konnte doch nur wenig sagen. Auch früher schrieb ich zahlreiche Briefe an sie, die sich im Laufe der Zeit in ein kleines Buch verwandelten, das ich jedoch vernichtete, weil mich die Hoffnungslosigkeit übermannte, alles wäre vergebens und diese Briefe würden niemals abgeschickt werden. Es war und ist mir immer noch unvorstellbar, einen Brief einfach mit einer Briefmarke zu bekleben und loszuschicken. Wenn es so einfach wäre, schriebe ich jede Woche einen langen Brief an Samia.
    In den ersten Monaten nach meiner Ankunft in Bengasi ging ich einmal wöchentlich zur Post. Jedes Mal stand ich vor dem Postgebäude und begriff, dass diese Idee nicht besonders gut war. Schnell gab ich auf und kehrte mit dem Brief nach Hause zurück, setzte mich an meinen Schreibtisch und schrieb neue Sätze hinzu. Meine damaligen ägyptischen Mitbewohner, mit denen ich immer noch auf der Baustelle arbeite und anfangs einige Monate im Stadtbezirk Sidi-Hussein zusammengewohnt hatte, bevor ich in meine jetzige Wohnung in der Gaddafi City gezogen bin, lachten mich aus und spotteten, ich sei in eine Postangestellte oder gar in das gesamte Postamt verliebt.
    Als ich das erste Mal in der Poststelle ankam, standen Leute in einer langen Warteschlange vor mir. Fast dreißig Minuten musste ich anstehen, bis ich endlich an die Reihe kam. Die unfreundliche Angestellte mit ihrem übertriebenen, stark glänzenden Make-up, fleckig wie ein durstiger Storch, kaute so energisch auf ihrem Kaugummi, dass der Eindruck entstand, sie wolle ihn sogleich auf mich oder die anderen Kunden ausspeien. Ihr gelangweilter Blick streifte mein Gesicht, und dann schleuderte sie ein »Was?« heraus. Ich antwortete nicht, drehte mich einfach um und verschwand umgehend. Vor dem Postschalter und dem bunt bemalten Gesicht dieser Frau war plötzlich die Frage in meinem Kopf aufgetaucht: Was, wenn der Brief in den Händen der Polizei landen und Samia deswegen festgenommen würde? Diese Vorstellung machte mich unendlich traurig und wütend. Wenn ich daran dachte, zitterte ich vor Angst. Ich wusste, die Mörder in Bagdad würden Samias Leben in eine noch qualvollere Hölle verwandeln, sollten sie von den Briefen erfahren, die ich ihr schickte. So schaffte ich es nie, tatsächlich einen der Briefe irgendeinem Postbeamten in die Hände zu drücken. Manchmal kam es mir vor, als würde mich jemand beobachten.
    Kein Wunder, dass ich mir solche Sorgen mache! Ich bin politisch verfolgt. Alles geschah im Jahr 1997 für uns unerwartet. Wir waren acht Freunde aus der Bagdader Universität, fünf Jungs und drei Mädchen, die sich jede Woche zum Leseabend getroffen und über ein Buch diskutiert hatten. Und das brachte uns die Anklage ein: Lesen verbotener Bücher. Bis heute ist mir unklar, wie uns die Polizei aufspürte. Alle Männer wurden an einem sonnigen Tag im Mai auf dem Universitätsgelände festgenommen, nicht aber die drei Kommilitoninnen. Warum sie nicht? Mir ist das ein Rätsel! Auch im Verhörzimmer hat keiner von uns – Jungs – die Namen der Mädchen unter Folter verraten.
    Sieben Tage meines Lebens verbrachte ich im Kerker, oder genauer in der Schweiz, wie man das Gefängnis im Irak ironisch bezeichnet. Vielleicht, weil das Elektroschock-Gerät »made in Switzerland« ist? Es waren die schrecklichsten sieben Tage meines Lebens. Ich hockte in einer engen Zelle, gefühlt einen guten Meter im Quadrat, mit nichts außer vier Wänden, einer Glühbirne, einem Eimer zum Pinkeln, einem Trinkglas und einer schmutzigen Decke. Ich kam mir vor wie eingesargt, in einem altägyptischen Grab, in dem man nur das Nötigste ins Jenseits mitnehmen darf. Den ganzen Tag herrschte Totenstille. Doch ab und zu öffnete sich die Tür, wenn die Wärter mit dem Essen – einem Stück Fladenbrot – auftauchten oder mich zum Verhör abholten. Eine Woche lang lebte ich zwischen diesem Grab und einer Folterkammer, die man Verhörzimmer nennt.
    Weil mein Onkel Mazen es schaffte, die Verhörpolizisten zügig zu bestechen, entließ man mich, noch bevor meine Akte in der Sicherheitszentrale landete. Mein Onkel kennt alle, er ist Unternehmer, einer, der mit vielen wichtigen Männern in der Regierung zusammenarbeitet. Er holte mich ab und sagte zu mir: »Deine Akte wird bald
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